Test auf Folterfähigkeit

Murat Kurnaz machte der rot-grünen Regierung vor dem Untersuchungsausschuss schwere Vorwürfe: Das Außenministerium habe sich um seinen Fall nicht gekümmert. Außerdem schildert er, wie er von Soldaten in Afghanistan misshandelt worden sei

AUS BERLIN KATHARINA KOUFEN

Es war sehr still gestern im Untersuchungsausschuss, als Fotografen und Kameraleute verschwunden waren und Murat Kurnaz zu reden begann. Im dunklen Anzug und mit gekrümmtem Rücken zum Tischmikrofon gebeugt, antwortete der 24-jährige Türke auf die Fragen des Ausschussvorsitzenden Volker Kauder, SPD.

Ob er dem Ausschuss schildern könne, wie er im Gefängnis in Kandahar behandelt wurde? „Wir mussten eine Nacht ohne Kleidung im Freien verbringen“, antwortet Kurnaz. Es sei kalt gewesen. „Wie kalt?“, will Kauder wissen. Das Wasser in den Flaschen der Soldaten sei gefroren. Am nächsten Tag hätten sie einen dünnen Overall bekommen. „Wir wurden jeden Tag geschlagen.“ Kurnaz macht beim Sprechen kurze Sätze und viele Pausen. Kauder will alles ganz genau wissen. Wieso man sie geschlagen habe. „Sie sagten, ich sei von al-Qaida und den Taliban.“

Kurnaz war 2001 bei einer Buskontrolle in Pakistan festgenommen worden. Da der Afghanistankrieg gerade begonnen hatte, fanden solche Kontrollen häufiger statt. Wer Terrorverdächtige an die USA lieferte, erhielt ein Kopfgeld von 3.000 Dollar. Rechtsbeistand gab es keinen.

Ob er gewusst habe, dass er nach Guantánamo gebracht werden sollte, fragte Kauder weiter. „Nein“, sagte Kurnaz. Es habe geheißen: „Number Zero Five Three, get ready for escorting.“ Als er dem Aufruf folgte, habe man ihn noch einmal rasiert, dann gefesselt, geknebelt, ihm Stöpsel in die Ohren gesteckt. Daraufhin habe er viele Stunden in einem Flugzeug verbracht, später in einem Bus, der auf ein Schiff gefahren sei. Irgendwann dann sperrten sie ihn „in einen Käfig aus Maschendraht“. Zuvor nahm eine Ärztin eine Speichelprobe, Fingerabdrücke, zupfte ihm Haare aus, wog ihn. Man habe ihn auf seine „Folterfähigkeit“ geprüft, damit er nicht sterbe, erklärte Kurnaz.

Besonders schockiert reagierten die Abgeordneten, als die Sprache auf die Vernehmung kam, die drei deutsche Geheimdienstler im Oktober 2002 in Guantánamo durchführten. Einer von ihnen sei im April 2004 noch einmal gekommen. Er, Kurnaz, habe gehofft, nun endlich freizukommen. „Entspannen Sie sich, Sie sind hier doch auf einer schönen Insel in der Karibik“, soll der Deutsche geantwortet haben. Der Ausschuss legte Kurnaz gestern Fotos von Geheimdienstmitarbeitern vor. Einen von ihnen könne er zweifelsfrei identifizieren, sagte Kurnaz. Von der Befragung soll es amerikanische Videoaufnahmen und deutsche Tonbandmitschnitte geben.

Für Empörung sorgte auch Kurnaz’ Bericht von einem möglicherweise als Rot-Kreuz-Mitarbeiter getarnten Agenten, der Kurnaz sowohl in Kandahar als auch in Guantánamo begleitet hat.

An der rot-grünen Regierung ließ Kurnaz’Anwalt Bernhard Docke gestern kein gutes Haar. „Das Auswärtige Amt verwaltete den Fall nur.“ Als Kanzlerin Merkel dagegen an die Macht kam, sei es gewesen, „als habe man einen Schalter umgelegt“.