Stoibers ungeordneter Rückzug
: KOMMENTAR von STEFAN REINECKE

Solange sich die Machtblöcke in der CSU auf keinen Nachfolger einigen können, wird niemand Stoiber stürzen: So lautete die eiserne Logik der letzten Tage. Diese Logik ist gestern in einer tumultartigen Zuspitzung außer Kraft gesetzt worden. Edmund Stoiber ist weg vom Fenster – und das, obwohl die Nachfolge noch unklar ist. Selbst wenn Stoiber noch bis Ende September in München regieren sollte – zu sagen hat er nichts mehr. Wer CSU-Chef und wer Ministerpräsident wird, das werden Beckstein, Huber und Seehofer in offener Schlacht ausfechten.

24 Stunden vorher hatte die CSU-Landtagsfraktion in Kreuth noch einstimmig beteuert, all das erst im September zu entscheiden. Treueschwüre, die nur ein paar Stunden halten, Kämpferposen, die zur Karikatur geraten, und Pläne, die schon in dem Moment veraltet sind, in dem sie verkündet werden: Was die CSU vorführt, erinnert an die chaotische Dramaturgie der letzten Tage der SED unter Egon Krenz, nicht an einen geordneten Rückzug.

Dieses Chaos ist auch ein Ergebnis der autoritären Parteikultur der CSU, in der der Chef immer Recht hat und Kritik stets unter Verratsverdacht steht. Stoiber hat diese autoritäre Struktur nicht geschaffen, aber forciert. Nun hat er die Quittung dafür bekommen. Denn seit er 2005 plötzlich doch keine Lust mehr hatte, Minister in Berlin zu werden, und nach München zurückkehrte, gärte es in der CSU. Niemand in der Partei wagte, ihm das klar zu sagen. Jetzt ist der Unmut explodiert.

Stoibers Fall zeigt aber noch etwas: Von Max Streibl bis Kurt Biedenkopf haben sich schon viele vor ihm an ihren Job geklammert und mussten am Ende geradezu aus dem Amt getragen werden. Doch Politiker vom Schlage Stoibers sind unfähig, daraus die Konsquenz zu ziehen und rechtzeitig souverän abzutreten. Es ist diese hartnäckige Lernresistenz, die beunruhigt.

Nun kann man finden, dass dieser Machtkampf letztlich inhaltsleer ist: Es geht nur um Personen, nicht um Politik. Doch diese Kritik führt nicht weit. Denn wie soll eine Partei die Probleme einer hochkomplexen Gesellschaft begreifen und lösen, wenn sie noch nicht mal in der Lage ist, ihre eigenen Geschäfte einigermaßen rational über die Bühne zu bringen?