Entfalten mit Falten

Kulturinteressierte Senioren wollen keine Zeit mehr verschwenden: In Kölns Feuerwache tagten jetzt ältere Frauen und Männer über Möglichkeiten, wie sie in den Kulturbetrieb aktiv eingreifen können

VON HEIKO OSTENDORF

Eine Skyline aus silbergrau behaarten Köpfen breitet sich aus. Die Kunst konsumierende Phalanx des demografischen Wandels rekelt sich in den Sesseln vor der Bühne. So sieht in vielen Theatern die Realität aus: Kultur ist nichts für junge Menschen. Doch auch die älteren Herrschaften fühlen sich immer öfter vom kulturellen Leben ausgeschlossen. Denn der Bedarf an Kultur ist bei der Generation 55plus größer als das Angebot. Das will die Pilotstudie „Kulturaktive Ältere“ festgestellt haben.

In der Tat versammelten sich in dieser Woche im Kölner Bürgerzentrum Alte Feuerwache mehr als hundert Menschen zur Tagung „Entfalten statt liften!“, um zu diskutieren, wie Senioren besser von den Kunst und Theater produzierenden Institutionen angesprochen werden können. Doch die Damen und Herren sehen in sich selbst mehr als vor Gemälden flanierende Kunstinteressierte. Sie wollen selbst auf der Bühne stehen, den Pinsel in die Hand nehmen.

“Seit mehr als zwanzig Jahren lebe ich ohne berufliches Eingebundensein“, erzählt Sarah Halberstadt. „Die Zeit ist zu lang, um sie als Lebensrest zu verschwenden.“ Deshalb macht die 81-Jährige mit beim Theater Raureif in Wuppertal. Sie will gefordert werden, sagt sie, und spielt im aktuellen Stück eine Hure. „Noch fühle ich mich zu jung, um ohne Wunsch zu sein.“ Doch sie kennt die Sorgen, mit denen Kunst schaffende Alte zu kämpfen haben. Zwar habe Raureif eine bezahlte Regisseurin – aber nur drei Stunden pro Woche .

Viele Schauspieldozenten hätten wenig bis gar keine Ahnung von der Arbeit mit Senioren. So wollte ihr, erzählt Halberstadt amüsiert, ein Seminarleiter einmal das Gehen von Charly Chaplin beibringen. Man bräuchte Dozenten, die gerontologisches Wissen haben, also eine Vorstellung davon besitzen, wie man beispielsweise mit Parkinsonkranken umgehen muss. So lautete nur eine der Forderungen, die auf der Tagung von den Teilnehmern formuliert wurden.

Dozenten müssten dazu auch Humor und Motivation vermitteln können, viel Erfahrung haben und sensibel mit den älteren Kunst Fabrizierenden umgehen. Dazu sei eine hohe Frustrationsgrenze wichtig und Managerfähigkeiten, da die Altenprojekte schließlich auch finanziert werden müssten. Weil es diesen Superman nicht an jeder Ecke gibt, solle Fortbildung ihn schaffen.

Aber dann, wenn alle Bedingungen erfüllt, Künstler und Regisseur gefunden sind, was dann? Aufführungsmöglichkeiten müssen gesucht und bitte auch gefunden werden. Doch wer will die Alten auf der Bühne sehen? Sonia Mota weiß, wie schwierig sich die Akquise von Auftrittsorten gestaltet. Dabei tanzt die 58-jährige Brasilianerin schon ihr ganzes Leben, stand in Ensembles in Lissabon und Antwerpen auf der Bühne. „Als ich 40 war, hat niemand geglaubt, dass ich noch richtig tanzen kann“, meint die seit 1989 in Köln lebende Tänzerin.

Mittlerweile ist Sonia Mota ihre eigene Choreografin, hat Bewegungen entwickelt, die sie in ihrem Alter noch umsetzen kann, und dabei eine “Sprache“ erschaffen, die leicht verständlich ist. Wie in ihrem Solo “VI-VIDAS“, aus dem sie bei der Tagung einen Ausschnitt präsentierte. Es ist die Stress geplagte Mitteleuropäerin Typ Karrierefrau, die sie darstellt, eine Frau, die erst im Business-Schwarz hektische Bewegungen macht und danach im Freizeitdress. In einer Traumsequenz tanzt sie mit einem Garderobenständer, geht anmutig auf den Fußspitzen und dreht vorsichtig Pirouetten.

Neun Aufführungen hat VI-VIDAS 2005 erlebt. 2006 hat Sonia Mota aus Mangel an Auftrittsmöglichkeiten in Deutschland zwölf Gastspiele in Brasilien absolviert. „Die Festivals wollen das Neueste vom Neuen“, bedauert sie, „und du kriegst keine Theater für feste Produktionen.“ Ja, sie sei zwar alt und könne nicht mehr so springen und rollen wie früher. „Aber auch ich habe etwas zu sagen.“

“VI-VIDAS“ von Sonia Mota Danças, vom 1. bis 3. März in voller Länge in der Alten Feuerwache in Köln