Ablass für Natursünder

Mit Geld statt mit ökologischen Ausgleichsflächen sollen sich Firmen und Gemeinden künftig in Niedersachsen für den Bau von Fabriken oder Straßen freikaufen können. Ähnliche Pläne sind auch in Schleswig-Holstein umstritten

„Wenn die Münze im Beutel klingt, die Seele in den Himmel springt“ – so lief es vor Luther bei den Katholiken. Nun sollen auch Firmen und Gemeinden ihre umweltpolitischen Sünden mit Geld freikaufen können – statt Ausgleichsflächen auszuweisen. Als einen „Ablasshandel“ prangern das Umweltverbände und Opposition an, Niedersachsens Umweltminister Hans-Heinrich Sander (FDP) will dagegen mit seinen Plänen, das Naturschutzgesetz zu novellieren, den „Konflikt zwischen Landwirtschaft und Naturschutz“ lösen. Es gehe nicht ums Freikaufen, weil das Geld ja der Umwelt zugute kommen solle.

Geldzahlungen für den Ausgleich von Ökosünden sind heute schon möglich, allerdings hat die Ausweisung von Flächen für den Bau von Fabriken oder Straßen Vorrang. Das will Sander ändern: Muss bislang für einen Hektar Versiegelung mindestens ein Hektar gleichwertiges Grün zur Verfügung gestellt werden, soll künftig auch ein Griff ins Portemonnaie möglich sein – wenigstens bei Flächen, die nicht unter die europäische Fauna-Flora-Habitat-Richtlinie fallen. Bis zum Sommer soll das Gesetz stehen. Sander will in Qualität statt in reine Flächen investieren: „Es nutzt ja nichts, wenn man ein Landschaftsschutzgebiet hat, es aber nicht pflegen kann.“ Das Geld solle den Kreisen zukommen und „den Umweltschutz wieder in die Regionen tragen“. Bei Gesprächen mit Investoren für eine Chemieanlage in Wilhelmshaven sei er kürzlich wieder auf das Problem aufmerksam gemacht worden.

Die SPD sieht darin eine „Salamitaktik beim Ablasshandel im Naturschutz“. Bereits die Änderung der Flächenregelung vor zwei Jahren habe Niedersachsen zum „Spitzenreiter im Flächenverbrauch“ gemacht, sagt Umweltexperte Hans-Dieter Haase. Dagegen verweist das Sander-Ministerium darauf, dass im Jahr 2005 so 2,3 Millionen Euro zusammengekommen sind. Das Geld sei „qualitativ“ angelegt worden. Also anstatt neue Wiesen oder Äcker auszuweisen, habe man es in die „Wiedervernässung“ von Mooren, zum Schutz von Steinkauzen, Schwalben und Fledermäusen investiert oder Polder im Naturschutzgebiet Dümmer angekauft.

Diese erste Erleichterung für Geldtransfers kritisieren auch die Grünen: Danach sollen als Ausgleich sieben Prozent der Investitionssumme für die Natur angelegt werden. „Das verstößt gegen die fundamentalen Säulen des Naturschutzrechts“, sagt die grüne Fachfrau Dorothea Steiner. Sie vermutet, dass Sander mit dem neuen Gesetz verhindern will, dass landwirtschaftliche Flächen für Ausgleichsmaßnahmen herhalten müssen. „Er will nur so viel Naturschutz, wie der Markt hergibt“, sagt Steiner. Für den SPD-Mann Haase ist es ein Rätsel, „dass der Sander glaubt, er könne sich eine heile Naturschutzwelt zusammenkaufen wie Zubehör für eine Landschaft der Spielzeugeisenbahn“.

Tatsächlich gehen die Pläne noch viel weiter: Sander will vor allem seine norddeutschen Ressortkollegen für eine Bundesratsinitiative zusammenbringen, die die bisherige Ausgleichsflächen-Regelung im Bundesnaturschutzgesetz völlig auf Länderebene verlagert. Laut Föderalismusreform ist das erst im Jahr 2010 möglich. In Schleswig-Holstein könnte er dafür Mitstreiter finden. Auch hier wird derzeit am Naturschutzgesetz gebastelt, um Zahlungen zu erleichtern. Mit Hilfe so genannter „Ökokonten“ sollen sich Firmen und Gemeinden auch hier von der Flächenausweisung freikaufen können. Auch im hohen Norden laufen Umweltschützer Sturm gegen die Novellierung des Gesetzes. Ihr Verdacht: Der Staat werde sich eines Tages völlig aus dem Naturschutz zurückziehen. Esther Geißlinger,
Kai Schöneberg