die taz vor zehn jahren über männer, sex und zensur
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Nach meiner inoffiziellen Umfrage unter amerikanischen Frauen – meinen Freundinnen – scheinen sich alle einig zu sein: 1995 war ein mieses Männerjahr. „Während der Feiertage ging ich zu einer Party nach der anderen“, sagt eine Freundin, die für die New York Times schreibt und ganz hübsch was zu bieten hat. „Die einzigen unverheirateten Männer waren Typen, mit denen ich schon vor 20 Jahren geschlafen habe.“ Ich wollte schon vorschlagen, sie sollte es mal mit Selbstunterhaltung versuchen, da nahm CompuServe alle Diskussionsforen aus dem Internet-Angebot, die etwas mit Sex zu tun hatten.

Aber jetzt kommt die gute Nachricht. CompuServe zog sein sexuelles Material zurück, weil ein deutscher Staatsanwalt behauptete, es verstoße gegen die deutsche Anti-Pornographie-Gesetzgebung. Die Geschichte eroberte sofort die Titelseiten aller US-Zeitungen, und die Amerikaner fühlten sich sofort als bessere Menschen. Denn es gibt für US-Amerikaner keine besseren Bösen als die Deutschen, besonders wenn sie ihrem Hang zum Autoritären frönen.

Es macht nichts, daß der Staatsanwalt nur von Kinderpornos sprach und Verfahren nur gegen die Urheber in Aussicht stellte, die das Material ins Netz einspeisten. Es macht auch nichts, daß niemand CompuServe aufgefordert hatte, alle Erwachsenenerotik auf der ganzen Welt aus dem Angebot zu nehmen, und daß selbst der Münchner Staatsanwalt darüber höchst verblüfft war. Die Worte „deutsch“ und „Zensur“ beherrschten die Nachrichten, so daß sich die Amerikaner wie Freiheitskämpfer vorkommen konnten.

Sogar meine Freundin sagte: „Wenigstens waren diese Typen, mit denen ich geschlafen habe, keine Deutschen.“ Ich danke dir, Deutschland, du hast meine Freundin seelisch wieder aufgerichtet, und du hast die amerikanische Nation von ihren mannigfachen Problemen abgelenkt. Marcia Pally in der taz am 20. 1. 1996