AUSGEHEN UND RUMSTEHEN VON RENÉ HAMANNEIN NACHTSCHWÄRMER TAUSCHT DIE BUNDESHAUPTSTADT GEGEN KÖLN
: Nach der Polizeistunde

VON RENÉ HAMANN

AUSGEHEN UND RUMSTEHEN

Berlinale! Eine perfekte Ausrede, mal schnell die Stadt zu verlassen. Und zwar in Richtung einer anderen Stadt, die ihrerseits für ähnliche Großevents bekannt ist, zu denen jeder aufgeklärte Mensch gemeinhin das Weite sucht und zum Beispiel eine Berlin-Reise macht. Das Ausgehen & Rumstehen macht also diesmal eine kleine Auswärtsfahrt an den Rhein, in die heilige Stadt Köln, und untersucht, was es da für Unterschiede zum Treiben in der Hauptstadt gibt.

Zum Ersten: Das Wetter war unglaublich schlecht und doch besser. Heißt, dunkler Dauerregen bei milden 10 Grad plus. Die Brauerei Gaffel Kölsch stellt mittlerweile eine „Fassbrause“ genannte Limonade mit Zitronengeschmack her, die die rheinische Antwort auf Fritz Brause sein soll und als solche als weitere Verfeinerung des Limonadenmarkts durchaus zu begrüßen ist. Mit der ostdeutschen Fassbrause hat das Getränk allerdings nur wenig zu tun.

Die Bars haben auch schon länger das Berliner Konzept der Reduktion übernommen und richten alte Eckkneipen einfach nur um oder aus; das „Elektra“ am Eigelstein war eine der Vorreiterinnen, existiert mittlerweile aber schon mehr als zehn Jahre und hat eine gewisse Verschickung erfahren. Freitags um halb zehn ist der Laden übrigens schon voll. In Köln geht man früher aus, dafür geht man allerdings auch früher heim. Ganz nach dem Motto „Früh voll ist früh zu Haus“. Auch die Musik ist ähnlich seltsam distinguiert wie in den Bars der Hauptstadt; eventuell kündigt sich ein neuer Trend an: Bigbandjazz mit durchgezogener Bassdrum. Keine Ahnung, wie man das nennt, vielleicht ja Swinghouse oder so. Die adretten jungen Damen mit den amerikanischen Flohmarktbrillen und den hautengen dunklen Leggings fehlen übrigens auch nicht.

Ein ewiger Unterschied wird aber die Polizeistunde bleiben, die in Köln zwar nicht mehr existiert, aber immer noch nachwirkt. Um eins oder zwei muss man tatsächlich die Kneipe wechseln, weil die, in der man gerade ist, dann eben zumacht. Also sinkt man im Anschluss auch weiter im Niveau: Die letzte Kneipe der Nacht ist dann traditionell auch die ramschigste. Kein Wunder, dass man in Köln auch „Kaschemme“ dazu sagt.

Auch die Gentrifizierung wird in Köln diskutiert; eine autonome Szene sucht man aber vergeblich, und eigentlich passt dieses Thema auch nicht wirklich zu dieser Stadt, die immer noch den Charme der piefigen Fünfziger Jahre atmet, dafür aber Mietpreise hat, die manchen Prenzlberger noch schlucken ließe. Apropos: der Bezirk mit der zweithöchsten Geburtenrate Deutschlands heißt Köln-Nippes. Was man aber gar nicht so merkt. Der Wochenmarkt auf dem Wilhelmplatz jedenfalls ist immer noch fest in türkischer Hand.

Persönlich führten mich eine Lesung her und das lang vermisste Umarmen der alten Freunde. Der Alkoholmissbrauch und vorübergehende Nikotinrückfall, die psychorealen Vergangenheiten und Sentimentalitätsanfälle am Freitagabend führten mitsamt Schlafdefizit und kaffeelosem Herbergshaushalt zu einem lahmen Samstag, der immerhin mit feinstem Abendessen gekrönt wurde. Als ich aber in der Liebigstraße Christiane Rösinger auf den Kopfhörern singen hörte: „Wenn alte Männer mit Taschenlampen in den Mülleimern suchen, ja, dann sind wir wieder in Berlin“, traten mir tatsächlich die Tränen der Vorfreude in die Augen. Umgedrehtes Heimweh, ein recht neues Gefühl.

Im Zug zurück saß ich einem Cineasten gegenüber, der die Nase in das Buch „Filmwissen 15“ steckte. Auch haben sich zwei Kölner Freunde schon für die Woche angekündigt. Zum Filmegucken. Ist ja Berlinale. Noch eine ganze Woche lang.