Busanschläge schockieren Frankreich

Im Fall des Brandüberfalls in Marseille nimmt die Polizei fünf Verdächtige fest. „Teilzeitinnenminister“ Sarkozy gerät zunehmend in die Kritik. Regierungschef de Villepin plant ein neues Gesetz gegen die Täter und ihre Komplizen

AUS PARIS DOROTHEA HAHN

Drei Tage nach dem Brandanschlag auf einen Bus in Marseille, bei dem eine junge Frau lebensgefährlich verletzt wurde, hat die Polizei gestern am frühen Morgen fünf Verdächtige verhaftet. Alle seien Minderjährige – drei seien knapp über 15, zwei knapp über 17 Jahre alt, wie aus dem Parlament verlautete. Die Verhafteten wohnen in Les Lilas in unmittelbarer Nähe der Haltestelle, an der am Samstagabend eine Gruppe von Vermummten in den Bus eindrang.

In Paris nahmen sich unterdessen der Regierungschef sowie der Staatspräsident persönlich der Affäre an, die weiterhin die Titelseiten der Presse beschäftigt. Beide versprechen der Öffentlichkeit ein hartes Durchgreifen gegenüber den Tätern. Innenminister Nicolas Sarkozy hingegen wird zunehmend für das Scheitern seiner Politik in der Banlieue kritisiert. PS-Chef François Hollande nennt Sarkozy, der in Personalunion auch Chef der Regierungspartei UMP sowie Kandidat für die Staatspräsidentschaft ist, einen „Teilzeitminister“.

Der Busüberfall von Marseille folgte einem Schema, das sich in den letzten Tagen an verschiedenen Orten Frankreichs wiederholt hat: eine Gruppe von vermummten Tätern drückt die hintere Tür eines Busses ein, versprüht brennbare Flüssigkeit im Innenraum, zündet den Bus an und flieht. In insgesamt sieben Fällen – mehrheitlich in der Banlieue von Paris – „gelangen“ derartige Operationen und die Busse brannten aus. Glücklicherweise konnten Passagiere und Fahrer den Flammen meist unversehrt entkommen. In Marseille gelang dies der 26-jährigen Passagierin Mama Galledou, einer aus dem Senegal stammenden Französin, nicht. Die junge Frau lag noch gestern mit schweren Brandverletzungen am ganzen Körper im Koma und wurde künstlich beatmet. Der Chefarzt einer Marseiller Klinik erklärte öffentlich, die Prognose in so schwerwiegenden Fällen wie ihrem sei „statistisch eher negativ“.

Im Vorfeld des ersten „Jahrestages“ der Banlieue-Unruhen, bei denen im November 2005 nach dem Tod zweier Jugendlicher bei Paris rund 9.000 Autos sowie zahlreiche Bushaltestellen in Flammen aufgegangen waren, hatten französische Medien und Politiker eine neue Gewaltwelle angekündigt. Der im Inland tätige Geheimdienst „Renseignements Généraux“ hatte in einem internen Bericht an die Regierung lakonisch festgestellt: „Fast alle Bedingungen, die zu den Vorstadtunruhen von 2005 geführt haben, existieren weiter.“

Doch die Brutalität der Busüberfälle übersteigt die schlimmsten Befürchtungen. Seit dem vergangenen Wochenende sind die schwer bewaffneten CRS-Polizisten in der Banlieue um 4.000 Personen verstärkt worden. In Paris erklärte Regierungschef Dominique de Villepin, er plane, künftig alle Mittäter von „Hinterhalten“ – auch jene, die nicht persönlich in Aktion treten – juristisch zu verfolgen. Außerdem sieht er im Rahmen des neuen Gesetzes über „Prävention der Delinquenz“ vor, dass künftig jugendliche „Mehrfachstraftäter“ schon vor der Volljährigkeit einem Strafrichter vorgeführt werden können. Den Vorschlag des Innenministers, der die Strafmündigkeit grundsätzlich heruntersetzen will, möchte der Regierungschef nicht aufgreifen.

Sechs Monate vor den Präsidentschaftswahlen ist die „innere Sicherheit“ mit dieser neuen Zuspitzung wieder ins Zentrum der französischen Aufmerksamkeit geraten. „Wir haben Lösungen dafür“, sagte gestern Morgen im Radiosender France Inter Marine Le Pen, die Tochter und politische Schülerin des Chefs der rechtsextremen Front National. Bei den letzten Präsidentschaftswahlen im Jahr 2002 wurde er der zweitbeste Kandidat.