Ihr Kinderlein kommet

Ein neuer Entwurf der Landesregierung soll der Vernachlässigung von Kleinkindern vorbeugen helfen. Kinderärzte begrüßen die Ausweitung der Kontrollmöglichkeiten durch die Behörden

VON CHRISTIAN WERTHSCHULTE

Seit dem Tod des zweijährigen Kevins in einer Bremer Problemfamilie sieht sich die Politik unter Zugzwang. Bislang müssen Familien, die ihre Kinder nicht zur Vorsorgeuntersuchung bringen, nicht mit rechtlichen Konsequenzen rechnen. Mehrere Bundesländer erarbeiten daher Gesetzesvorschläge. Mit einiger Verspätung sickerten auch aus dem Familienministerium in NRW erste Pläne an die Öffentlichkeit.

Demzufolge plant Familienminister Armin Laschet (CDU) eine Ausweitung des Schutzes von Kleinkindern. Dies erklärte eine Sprecherin seines Ministeriums gegenüber der taz. Demnach sollen Kinderärzte diejenigen Kinder beim zuständigen Jugendamt melden, die an den Vorsorgeuntersuchungen teilnehmen. In den zuständigen Jugendämtern können diese Listen mit dem Einwohnermelderegister abgeglichen werden. Dadurch soll festgestellt werden, welche Eltern nicht an den empfohlenen Untersuchungen teilnehmen.

Mit der Initiative greift Familienminister Laschet Vorschläge des Bundesverbands der Kinder-und Jugendärzte auf, die bereits mit der rot-grünen Vorgängerregierung erläutert wurden. Das Ziel sei es, die Zahl der an den Vorsorgeuntersuchungen teilnehmenden Eltern zu steigern, so der Landesvorsitzende Thomas Fischbach gegenüber der taz. Zur Zeit würden 10 Prozent der Eltern nicht an den Vorsorgeuntersuchungen des ersten Jahres (U1-U7) teilnehmen. Bei diesen lasse sich in der Statistik eine Zunahme so genannter „Risikofaktoren“ beobachten. Konkret bedeutet dies, diese Eltern überdurchschnittlich häufig allein erziehend sind oder die Schwangerschaft nicht gewollt war. Die Gefahr, dass sich die Kinder zu einem Problemfall entwickelten, sei daher größer, so der praktizierende Kinderarzt Fischbach. Von daher sei es begrüßenswert, dass die Zusammenarbeit der verschiedenen Institutionen durch den Vorschlag gestärkt werde.

NRW steht mit seinen Ideen nicht allein. Im Saarland steht eine ähnliche Initiative bereits kurz vor der Gesetzesreife. Nehmen Eltern nicht an den Vorsorgeuntersuchungen teil, bekommen sie zuerst eine schriftliche Einladung, wenn sie dieser nicht nachkommen, wird der Fall an die Jugendhilfe gemeldet, die sich mit ihnen in Verbindung setzt.

Inwieweit dieser Ablauf auch in Nordrhein-Westfalen zur Anwendung kommen wird, ist jedoch weiterhin in der Schwebe. „Die rechtlichen Grundlagen sind noch nicht geklärt“, erklärt das zuständige Ministerium. Laschet hatte im Oktober 2005 erklärt, er könne sich vorstellen, eine Vorsorgepflicht analog der Schulpflicht einzuführen. Dort ist im Schulgesetz eine Einschränkung bestimmter Grundrechte wie der Unverletzlichkeit der Freiheit der Person vorgesehen, um die Schulpflicht als Ordnungswidrigkeit ahnden zu können.

Datenschutzrechtlich scheint es ebenfalls zu früh, um eine endgültige Einschätzung der Lage geben zu können. „Wenn es sich um ein kooperatives Modell handelt, sehen wir dort keine Bedenken“, teilte der Sprecher der Landesbeauftragten für Datenschutz mit. Dies würde bedeuten, dass auch die Jugendhilfe nur tätig wird, wenn die Eltern dem zustimmen.

Die Gefahr, dass Eltern durch eine Weigerung der Datenweitergabe „verdächtig“ erscheinen könnten, sehen jedoch auch die Datenschützer nicht ausgeräumt. „Warum sollten Eltern nicht wollen, dass man ihren Besuch an das zuständige Amt übermittelt?“, wirft dagegen Thomas Fischbach ein. Er sieht keine datenschutzrechtlichen Bedenken im geplanten Verfahren, da ja das Untersuchungsergebnis nicht weitergegeben wird. Bei Fällen von schwerem Missbrauch sei die ärztliche Schweigepflicht sowieso eingeschränkt. Im Vordergrund müsse die Vernetzung stehen, sagte der Ärztevertreter.