Kantes Kommando

Ohne Zukunft: „Klassen Feind 2.0“ in der Vagantenbühne erzählt von Schulhassern und Prügelkindern

Spast läuft jaulend auf der Bühne herum, Fußtritte treffen ihn am Hintern. Er ist der Hund, der Underdog in der Klasse, in der die Schüler den Klassenraum beherrschen und die Hierarchien selbst festgelegt haben. Kein Lehrer will die 10 a weiter unterrichten. Gewalt und Willkür regieren und werden fast gefeiert: Per Handy filmt man Prügeleien.

Umgeworfene Stühle und eine mit Graffiti besprühte Tafel dienen als Bühnenbild des Stückes „Klassen Feind 2.0“ in der Vaganten Bühne. Regisseur Folke Braband hat mit Laien eine Neufassung des Theaterstückes inszeniert, mit dem der britische Autor und Lehrer Nigel Williams das Thema Gewalt 1978 in London auf die Bühne brachte. Die sechs Darsteller, Schüler und Absolventen zwischen 18 und 23 Jahren, teils mit Migrationshintergrund, haben in den Proben eine neue Version von Williams Stück entwickelt. Improvisationen, Sprüche wie „ey Opfer, mach’ Arsch zu“ und ihre authentische Körper- und Slangsprache machen das Stück sehenswert.

Kante, der furchtloseste aber auch brutalste Schulhasser, erteilt die Kommandos. Jeder seiner Kameraden, so sein Befehl, muss eine Unterrichtsstunde halten. Yallah beginnt: „Ihr wollt ’ne Stunde? Ihr kriegt ’ne Stunde. Und das Thema lautet Sex!“ Yallah redet verächtlich von „Mösen“. Kante ist sauer, denn zu aller Überraschung will er im selbst regierten Klassenzimmer etwas lernen. „Was ist Sex?“, schreit er Yallah an, der nun kleinlaut von Bienen erzählt, die gierig Blumen befliegen. Kante selbst redet über das Thema Angst: „Meine Mutter hat mir meine Angst rausgeprügelt.“

Für „Klassen Feind 2.0“ haben sich die Darsteller eigene Charaktere zugelegt, mit Geschichten aus sozial prekären Elternhäusern aus Lichtenberg, Kreuzberg und Neukölln. Im Verhältnis zum 30 Jahre alten Stück aber hat sich wenig an der Struktur der Gewalt geändert: Sie mobben weiterhin Schwächere, um ihrem Ego Auftrieb zu geben, in einer Welt, in der sie die Versager sind. Visionen für die Zukunft, die sie aus der Misere rausreißen könnten, fehlen. So nehmen die sechs Spieler den Zuschauer mit in ihren Tunnel von Hass und Gewalt, er spürt und versteht ihre Aggressionen und ahnt zugleich ihr Bedürfnis nach Anerkennung, die sie ansatzweise in ihrer Gruppe finden. Dass die Figuren beide Seiten offenbaren, ist die Stärke des Stückes.

CAROLIN HOLZMEIER

Vaganten Bühne, Kantstr. 12 a,23.–26. Januar, 20 Uhr