Postsozialismus und Pseudolebenskrisen

Premieren mit ansteigender Qualitätskurve: Mit Texten nach Jelinek und Moritz von Uslar eröffnete das Deutsche Theater seine neue Spielstätte „Box + Bar“. Zwar begann das Ausprobieren von jungen Künstlern noch etwas ziel- und konzeptlos, dennoch könnte die Box zu einer Schatzkiste werden

Walter Gieseking passt gut in die Reihe der chauvinistischen Leerschwätzer

VON CHRISTIANE KÜHL

„Box + Bar“ heißt die neue Spielstätte für junges Theater am Deutschen Theater, die neben dem großen Haus und den Kammerspielen jungen Regisseuren und Schauspielern Raum zum Ausprobieren geben soll. „Anfang der Neunzigerjahre ist hier gleich nebenan ein kleines Theater eröffnet worden, und es hatte bald eine heftige Wirkung. Dieses Theater gibt es nicht mehr. Wir vermissen es“, erinnerte der Intendant Bernd Wilms in seiner Eröffnungsrede an eine frühere Bühne des DT und benannte mit dem Verlust auch gleich einen Grund für den neuen Anlauf. Als ob er aber die Geister der Vergangenheit zugleich fernhalten wollte, nannte er weder die „Baracke“ noch ihren Leiter Thomas Ostermeier beim Namen.

Mit zwei Uraufführungen und einer deutschsprachigen Erstaufführung ist die Box, eine schwarze Holzkiste mit Platz für 75 Zuschauer gleich hinter der ehemaligen Kammerbar, eingeweiht worden. Finanziert wurde der Bau aus Lottomitteln, der Spielbetrieb wird vom DT getragen. Sogar Geld für drei neue Schauspieler war da.

Ein kleines Wunder in diesen Tagen, nur übertroffen von der wundersamen Karriere des künstlerischen Leiters der Box: Christoph Mehler hat 2002 als Kleindarsteller am DT angefangen, wurde Regieassistent und eines Tages ins berüchtigte Max-Reinhardt-Zimmer beordert, wo man ihm die Leitung der Box antrug. Wie ein 30-Millionen-Gewinn sei das gewesen, so der 32-Jährige.

Mehler soll nun an die Tradition des Theatermythos Baracke anknüpfen, ohne deren rebellischen Geist zu reproduzieren. Denn auch das stellte Intendant Wilms klar: Eine „Opposition im eigenen Hause“, wie sie damals von den jungen Theatermachern geübt wurde, sei heute unnötig.

Nun hat es zum einen etwas leicht Despotisches, wenn solche Worte vom Vater kommen. Zum anderen kann man sich nicht des Eindrucks erwehren, dass hier ein Missverständnis vorliegt. Denn die Gruppe um Thomas Ostermeier und Jens Hillje war 1996 nicht gegen den damaligen Intendanten Thomas Langhoff angetreten, sondern für ein anderes Theater: Es gab sehr konkrete Vorstellungen davon, wie man spielen und was man inszenieren wollte. Dass die Baracke eine solche Wucht entfaltete, lag nicht nur daran, dass sie die britischen „Blut und Sperma“-Stücke nach Deutschland brachte, sondern vor allem daran, dass ihre Macher eine Haltung hatten.

Eine solche hat Christoph Mehler offensichtlich nicht: „Seitdem ich weiß, dass ich die Leitung der Box übernehmen soll, fange ich an zu überlegen, wohin ich eigentlich möchte, wo mein Interesse liegt, was meine Handschrift sein könnte“, sagte er der Berliner Zeitung letzte Woche. Auch seine Eröffnungsinszenierung „Opfer vom Dienst (Remix)“ der russischen Brüder Presnjakow ließ Haltung und Handschrift vermissen. Alles war so, wie wir uns den Postsozialismus gerne vorstellen: grell, prollig, korrupt, laut. Schon die Geschichte, ein vager Hamlet-Verschnitt (Mutter bringt Vater um und schläft mit Onkel, Sohn mag das nicht und onaniert vor der Glotze) gibt nichts her; wie dann aber jedes Ideechen als Regie-Einfall mit Ausrufungszeichen versehen wurde, tat bisweilen regelrecht weh.

Schon etwas mehr hoffen ließ die zweite Inszenierung: Elfriede Jelineks „Sportchor“ (Regie: Leonhard Koppelmann). Jelineks Text zu WM, Krieg, Medien und Geschlechterverhältnissen vereint eine Vielzahl von Stimmen, die unaufhörlich auf uns einprasseln, um sich und uns die Welt zu erklären. Stefan Kaminski spielt alle diese Kommentatoren und Kahns dieser Welt; erst ein wenig zu imitierend, doch dann immer beeindruckender eine Form findend, die die allen Stimmen unterliegende Aggression und Dummheit hervortreten lässt.

Walter Gieseking, der Protagonist von Moritz von Uslars erstem Roman, passt gut in die Reihe der von Jelinek so verachteten chauvinistischen Leerschwätzer. Hanna Rudolph hat die Uraufführung der Romanadaption als (Fast-)Solo für Alexander Khuon eingerichtet. Und Khuon ist großartig. Wie er den total versnobten Mittejournalisten Gieseking in seiner Pseudolebenskrise und Selbstverliebtheit perfekt verkörpert und dennoch entlarvt; wie er es nicht darauf anlegt, unter der arroganten Schale einen existenziellen Kern freizulegen, sondern Gieseking als Vertreter einer zeitgenössischen Kaste der coolen Ignoranz untergehen lässt, hat wahren Stil.

Was und wohin die Box will, haben die drei ersten Premieren nicht gezeigt. Wenn aber die Qualität der Inszenierungen weiter so kontinuierlich steigt wie im Verlauf dieser ersten drei Abende, könnte sie doch noch zur Schatzkiste werden. Ab dem nächsten Wochenende auch mit Barbetrieb.

Alle Termine unter www.boxundbar.de