ende von blumfeld etc.: Korrekte Popstars sind müde
Die Band Blumfeld wird sich auflösen, verkündete sie gestern auf ihrer Website. Die für April und Mai angekündigte Tournee wird also zur Abschiedstournee werden, die auf dem eigens gegründeten Label erscheinende 5-CD-Box „Ein Lied Mehr“, die neben den Longplayern „Ich-Maschine“, „L’Etat et Moi“ und „Old Nobody“ noch ein Live-Album und „Various Recordings“ enthält, wird das Vermächtnis sein. Oder werden weitere „Recordings“ folgen, B-Seiten, unbekannte Versionen der Hits, Demoaufnahmen?
Nein, das steht nicht zu befürchten. Anfang der Neunziger machten Blumfeld mit der Single „Ghettowelt“ auf sich aufmerksam, dann folgte 1992 „Ich-Maschine“, und um viele Herzen war es geschehen. Man identifizierte sich mit diesem Indie-Rock, der keiner war, mit dieser Hornbrilligkeit der Musik, die man aber auch locker weghören konnte, man liebte den Anspielungsreichtum der Texte und das jugendliche Drama darin. Dabei war die zunächst als Trio auftretende Band Blumfeld nicht einmal sehr gut an den Instrumenten. Doch Bandleader Jochen Distelmeyer nahm mit seiner Stimme für sich ein, er sang sperrige deutsche Wörter hell und klar, unverdruckst und doch nicht stolzdeutsch. Zudem standen Blumfeld, spätestens nach „L’Etat et Moi“, auf der richtigen Seite, sie zitierten Theweleit, Cash, engagierten sich für RAF-Häftlinge und gegen Deutschland, und ihre Konzerte wurden immer mehr zu Wallfahrten. Jochen Distelmeyer wurde zum korrekten Popstar, der befreundete Künstler wie Max Müller oder die blutjungen Tocotronic zu gemeinsamen Touren einlud, um sie populärer zu machen, der den Rockmythos der Indiefreunde unterwandere, wenn er sich auf George Michael und die Schlagercombo Münchener Freiheit berief.
Spätestens seit „Old Nobody“ waren Blumfeld Popstars, nicht nur im Kleinen. Sie wurden nun auch auf Hitsendern gespielt und in Jugendzimmern gehört, in denen der intellektuelle Diskurs gemeinhin keinen Zutritt hat. Beinahe jede zweite Indieband in Deutschland hatte einen Song im Repertoire, indem ein „Jochen“ angesprochen wurde. Die Alben „Testament der Angst“, „Jenseits von Jedem“ und „Verbotene Früchte“, die seit der Jahrtausendwende erschienen, markierten jedoch eine sinkende Popularität, die Lieder vom „Apfelmann“, die „Wellen der Liebe“ waren entweder, wie die Verteidiger der Platten meinten, „zu schlau“, oder, wie die Lästerer meinten, „zu dumm“, um noch in die Breite zu wirken. Es blieb Pop, manchmal schöner Pop, aber die Aura war beschädigt, nachhaltig.
Distelmeyer und seine mittlerweile drei Mitspieler wollen nicht zurück in die beschauliche Indiepopwelt, die Politpopszene aber ist so gut wie inexistent, wie die jüngere Geschichte der Zeitschrift Spex erweist. Da bleibt nur der Abschied. JÖRG SUNDERMEIER
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