Im Moment herrscht Einigkeit

MANDAT Alle wollen eine neue Verfassung. Aber wie soll diese aussehen? Warum Ägypten eine Volksversammlung braucht, die alle Kräfte einbindet

Mamdouh Habashi, 59, Architekt, seit 1971 in verschiedenen linken Gruppen aktiv Foto: privat

VON MAMDOUH HABASHI

So etwas wie die Revolution in Ägypten (und zuvor in Tunesien) hat es bislang nicht gegeben. Vernetzt über das Internet, aber ohne politische Führung haben es die Ägypterinnen und Ägypter geschafft, mit friedlichen Mitteln und einem hohen Maß an Einigkeit einen Despoten wie Husni Mubarak zu stürzen.

Aber ist es wirklich schon eine Revolution? Der Definition nach nicht. Die Forderungen des Aufstands sind noch nicht erfüllt, die gesellschaftlichen Strukturen noch unverändert. Aber wir genießen gern die Kraft dieses Wortes: Revolution. Und wir brauchen dieses Wort, damit die Leute spüren, welch großen Schritt sie bereits gegangen sind und wie viel noch vor ihnen liegt.

Alle wollen die Diktatur überwinden; alle sprechen von einem zivilen Staat und meinen nicht nur einen nichtmilitaristischen, sondern auch einen nichtreligiösen Staat. Selbst die Muslimbrüder teilen im Moment diese Forderung.

Aber sobald die Debatte über die neue Verfassung beginnt, wird es mit der Einigkeit vorbei sein. Was wird zum Beispiel aus dem 1971 eingeführten Artikel 2 der Verfassung, der besagt, dass Ägypten ein islamischer Staat und die Hauptquelle der Gesetzgebung die Scharia ist?

Außerdem: Im Moment stimmen aller darin überein, dass sie soziale Gerechtigkeit wollen. Aber sobald wir darüber diskutieren, wie dieses Ziel in konkrete Politik umgesetzt werden kann, werden wir die Differenzen merken. Denn natürlich gibt es auch bei uns Kräfte, die das Land mit einer neoliberalen Politik voranbringen wollen. Wir hingegen sind für Mindestlöhne und wollen, dass Güter wie Bildung, Gesundheitsversorgung, Transportmittel für die Masse erschwinglich bleiben.

All das sind wichtige Fragen. Aber es sind dies die Fragen von morgen. Die von heute sind andere: Schon in den ersten Tagen wurde klar, was die größte Schwäche dieses Aufstands ist: das Fehlen einer richtigen Führung. Deswegen lautet mein Vorschlag, den auch andere – keineswegs nur linke – Oppositionelle teilen: Die künftigen Verhandlungen sollten über eine Mandatierung erfolgen. Das heißt, unsere Aufgabe ist es, eine Art Volksversammlung einzuberufen, die die jungen Cyberspace-Aktivisten von heute ebenso einschließt wie jene, die in den letzten 30, 40 Jahren Opposition gemacht haben. Damit sie von den Massen akzeptiert wird, müsste diese Versammlung alle Kräfte einbinden. Dann wäre sie auch dazu legitimiert, Einzelne zu beauftragen und zu sagen: Du gehst in unserem Namen in diese Verhandlungen und setzt die folgende Punkte durch.

Aus vielen Diskussionen mit den jungen Aktivisten weiß ich, dass das Bedürfnis nach einer Organisation besteht. Sie wissen: Die Revolution kann nicht nur Software bleiben, sie muss auf Hardware treffen. Natürlich wird dies eine neue Organisationsform sein – weder eine Organisation, die den Einzelnen knebelt, noch der lose Austausch übers Internet. Etwas dazwischen. Und dafür brauchen die Jungen uns Alte mit den weißen Haaren genauso wie wir sie brauchen.