HAMBURGER SZENE VON DANIEL WIESE: Derby
Die Absetzbewegungen beginnen etwa um 18 Uhr in der taz-Redaktion. Schreibtische, an denen kurz zuvor noch Menschen saßen, sind plötzlich verwaist, die Bildschirme dunkel. „Das Derby“, sagt der Chef vom Dienst bedeutungsvoll. „Nicht Pferdesport, du Pfeife. Fußball. Haste vergessen, was?“
Eine Stunde später, der Anpfiff war schon, sind die Straßen leergefegt. In den Körperfresser-Filmen ist es immer so, dass die verschwundenen Menschen in dunklen Hallen liegen, wo die außerirdischen Lebensformen in sie eindringen, und dann kommen sie heraus und lächeln so komisch.
Vor einer Bar in der Ottenser Hauptstraße steht eine Menschentraube, sie drängt nach drinnen vor den großen Flachbildschirm, aber es geht nicht. „Tut mir leid, ich kann euch nicht reinlassen, wir müssen auch die Fluchtwege freihalten“, sagt ein breitschultriger Typ, der nach Security aussieht. Allgemeines Murren, „Wo kann man denn sonst hin“, fragt ein Mädchen ihre Freundinnen.
Drinnen starren sie auf den Flachbildschirm, man sieht Männer in Trikots auf einem grünen Rasen. Alle Köpfe zeigen in die gleiche Richtung, niemand dreht sich um. Die Menschen da drinnen sind verloren, ihr Bewusstsein hat sich irreversibel verändert. Aber wenn es erst alle erwischt hat, ist auch keiner mehr da, der es merkt.
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