AUCH IM ALTER UNBEDINGT MOTIVIERT UND ENGAGIERT
: Glanz des Altersstarrsinns

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VON ARAM LINTZEL

Durch seinen inflationären Gebrauch ist das Wort „Generation“ zu einer Witz-Denkfigur geworden, im Grunde kann man es nur noch in ironischen Anführungszeichen verwenden. Trotzdem erscheinen regelmäßig ernst gemeinte Sachbücher wie „Generation Maybe“, „Generation ADHS“ oder „Generation Porno“. Das verlockt zu nominalistischen Wortspielereien nach dem Motto „Generation ist alles, was ich so nenne“. Ein Bekannter macht daraus mehr oder weniger gelungene Jokes. „Harald Martenstein gehört zur ‚Generation Arschloch‘“, lautete neulich sein kritischer Kommentar und nach dem WM-Spiel Deutschland gegen Portugal erklärte er sich zur „Generation Müller“. Mit dem müden Mittel des Sparwitzes weist er darauf hin, dass scheinbar objektive Generationengrenzen Ergebnis willkürlicher Manipulationen sind. Seit dem Verschwinden entsprechender Initiationsrituale weiß schließlich niemand mehr, wer alt ist und wer jung. Die Rede von „Generationen“ ist da eine verbale Krücke.

Der Versuch, bestimmte Lebensphasen zu Trägern quasi natürlicher Merkmale zu verdinglichen, wird gemeinhin „Ageism“ oder auf Deutsch „Altersdiskriminierung“ genannt. Wenn mich nicht alles täuscht, ist diese Diskriminierungsform aber nie so richtig im Zentrum des linken, kritischen Diskurses angekommen. Aus der klassischen „triple oppression“ von Klasse, Rasse und Geschlecht wurde keine um Alter erweiterte „quadruple oppression“. Vielleicht liegt das daran, dass jeder selbst merkt, dass das Altern etwas mit einem macht, man wird ungeduldiger, mürrischer oder im anderen Fall entspannter und großmütiger. Außerdem wird Alter heutzutage nicht wirklich stigmatisiert, sondern in einer Sprache der (Selbst-)Optimierung neutralisiert. Während die Jugend in Kita und Schule für die sogenannten Herausforderungen der Globalisierung „fit“ gemacht wird, ist von den Alten vor allem als „Golden Ager“, „junge Alte“ etc. die Rede. Die Böll-Stiftung organisierte neulich einen Kongress mit dem Titel „Baustelle Neuer Generationenvertrag“. In einem Thesenpapier der Veranstalter Ralf Fücks und Peter Siller heißt es: „Mit steigendem Lebensalter und wachsender Fitness verlängert sich die Phase eines aktiven Lebens.“ Dass alte Menschen mit dem entsprechenden Geld auf dem Konto heute mehr über den Seniorentellerrand hinausschauen und ein aufregendes Leben führen können, ist erfreulich. Doch sollte man sie das nicht einfach tun lassen? Warum muss selbst hier nach „Potentialen“ Ausschau gehalten werden? „Wie das berufliche und soziale Potential der Älteren zum Zuge kommen und die Vielfalt individueller Altersbiografien gefördert werden kann, ist noch lange nicht ausgelotet,“ heißt es in dem Böll-Papier. Was wohl mein 89-jähriger Vater dazu sagen würde? Ich glaube, er ist ganz froh, dass er weder gefördert noch gefordert, sondern einfach in Ruhe gelassen wird, um ungestört seine neuen Blues-Platten anzuhören.

Optimistisch betrachtet mag die Rede von „Potentialen“ das Alter vom Stigma der Nutzlosigkeit befreien. Doch steckt darin der Imperativ, so zu sein wie der jüngere Teil der Gesellschaft: motiviert und engagiert. Was das Eigensinnige an den Alten sein könnte, wird unterschlagen. Auf altersbedingte Idiosynkrasien hinzuweisen, muss aber nicht immer in Ageism münden. In einem späten und schönen Aufsatz mit dem Titel „Die Radikalität des Alters: Starrsinn oder Furchtlosigkeit?“ schrieb die 2012 im Alter von 94 Jahren gestorbene Psychoanalytikerin Margarete Mitscherlich gleich im ersten Satz: „Dass Starrsinn auch auf biologischen Veränderungen im Alter beruht, ist bekannt.“ Doch gerade solche unangenehmen Eigenschaften werden vom Jargon der Optimierung wegoptimiert. Altersstarrsinn wird nicht mehr als nette Schrulle zugestanden, statt starr haben wir bis zum Tod flexibel zu sein. Alte sind denn auch heute nicht mehr besserwisserisch (früher hieß es euphemistisch: weise), sondern haben sich dem Imperativ des „lebenslangen Lernens“ zu fügen. So wird suggeriert, dass das Leben bis zum Ende ein Projekt ist, wer nicht mitmacht, wird abgeschrieben oder ist eben vereinsamt. Dabei ist es eine Option, dass man von der nervigen Projektemacherei Abschied nimmt und das Hier und Jetzt bejaht. Dies macht nicht zuletzt seine – heute rhetorisch entschärfte – „Radikalität“ aus. Noch einmal Mitscherlich: „Als alter Mensch rast die Zeit, oder man hat das Gefühl, dass sie einem zwischen den Fingern zerrinnt. Die Zukunft wird immer knapper und dunkler.“ Deshalb gelte es, sich „festliche Augenblicke zu verschaffen“. Und das geht ganz gut ohne jene kategorische „Fitness“, die Jung und Alt immerzu eingebläut wird.

■ Aram Lintzel ist freier Autor in Berlin