Schatzsucher im weltweiten Netz


„Wir kennen uns in einem hoch spezialisierten Segment aus, wissen, wie der Markt tickt, und kennen die Absatzmöglichkeiten für Kunst“

AUS KÖLN HENK RAIJER

Kunst ist ihre Passion, heiße Ware ihr Geschäft. „Schätzen Sie doch mal, wie viele Picassos heute als gestohlen gemeldet sind?“ Ulli Seegers, dunkler Hosenanzug, schulterlanges Haar, sitzt am Rechner in ihrem Kölner Büro und gibt den Suchbegriff in die Maske ein. „Wirklich keine Vorstellung?“ versucht die 36-Jährige es noch mal, bis sie dann rund 20 Abbildungen von Originalen des Meisters auf den Bildschirm zaubert. „657 weltweit“, löst die Kunsthistorikerin die Quizfrage auf und klickt mit der Maus Picassos „Frauenporträt Dora Maar“ an. Kunstdiebe haben es 1999 im französischen Antibes von der Yacht eines saudischen Milliardärs mitgehen lassen.

„Die Dora Maar ist das zur Zeit teuerste bei uns registrierte Objekt“, sagt Seegers. Das Gros der Kunstwerke, die beim Art Loss Register (ALR) auf der „Negativliste“ stehen, hätte keinen so exorbitant hohen Sammlerwert. Tagesgeschäft sei da eher das antike Silberbesteck von Tante Erika aus Frankfurt am Main. Für eine Registrierung beim ALR muss ein Gegenstand nur eindeutig identifizierbar sein und einen Mindestwert von 1.000 Euro haben.

180.000 Objekte stehen derzeit auf der Fahndungsliste des Art Loss Register, einer 1991 auf Betreiben von Auktionshäusern und großen Versicherern in London gegründeten privaten Datenbank für gestohlene und vermisste Objekte. Deren Kölner Büro ist für die Aufklärung von Kunstklau im deutschsprachigen Raum zuständig. Gut 50.000 Verlusteinträge beinhalten NS-Raubkunst oder Beutekunst. Dabei geht es nicht nur um Picassos, Rembrandts, Dürers, Mirós oder Barlachs. Auch Ausgrabungsstücke, Instrumente, antike Uhren, Möbel, Perserteppiche, Briefmarken, Puppen oder Auto-Oldtimer würden erfasst, erklärt Ulli Seegers, seit acht Jahren Geschäftsführerin von Art Loss Register in Köln. In vielen Fällen erfordere die Wiederbeschaffung längere Recherchen. „Bis ein Fall geklärt ist, vergehen oft vier oder fünf Jahre“, sagt Seegers, während sie ein halbes Dutzend ausgefüllter Kunstdiebstahlsanzeigen zur Begutachtung in die Hand nimmt. „Da habe ich erstmal nur Spesen.“

Die Zahl der Kunstdiebstähle nimmt international zu. Etwa 1.200 Objekte werden nach Schätzungen des ALR monatlich weltweit gestohlen. Und Deutschland ist nach Erkenntnissen des Bundeskriminalamts seit der Wende zu einem Absatz- und Transitland für Diebesgut vor allem aus Osteuropa geworden. Experten schätzen den Schaden weltweit auf fünf Milliarden Euro jährlich. Die Suche nach einem geklauten Kunstwerk läuft nach einem festen Schema ab: Auktionskataloge durchforsten, Kleinanzeigen wälzen, Daten in den Computer eingeben. Die Fahnder des ALR tragen alle bekannten Angaben über das verschollene Objekt in die Datenbank ein, ordnen sie nach bestimmten Kriterien und gleichen sie mit einander ab. Alle 35 Mitarbeiter des international operierenden Unternehmens haben per Intranet Zugriff auf die Daten, so dass die Suche in allen sechs Niederlassungen zeitgleich erfolgen kann: außer in London auch in New York, Moskau, Delhi, Amsterdam und Köln. „Wir machen hier keine Polizeiarbeit“, räumt Ulli Seegers gleich mit einem Klischee auf. „Unser Wissen unterscheidet sich von dem der polizeilichen Ermittler. Wir kennen uns in einem hoch spezialisierten Segment aus und arbeiten der Polizei höchstens zu.“ Was sie und ihre vier KollegInnen im Kölner Büro auszeichne, seien kunsthistorisches Wissen und Erfahrung im Auktionshandel. „Wir wissen, wie der Markt tickt, und kennen die Absatzmöglichkeiten.“

Diebe können die ALR-MitarbeiterInnen zwar nicht immer stellen, zumindest aber das oftmals viele Jahre zuvor geklaute Objekt dem Eigentümer zurückgeben, bevor es in einem Auktionshaus ein weiteres Mal veräußert wird. „Sobald Werke bei uns registriert sind, können Sie sie auf der ganzen Welt nicht mehr verkaufen“, gibt sich Seegers selbstbewusst. Oder zumindest müssten Kunsträuber, ihre Auftraggeber oder Hehler mit noch größerer Vorsicht agieren. Partner des ALR sind Auktionshäuser, Sammler, Galeristen und Kunsthändler. „Die lassen jedes zum Verkauf anstehende Objekt vorab prüfen. Wenn da die Herkunft eines Werkes dubios erscheint, kommt es nicht auf den Markt.“

Wie ihre Kollegen, fast ausnahmslos mehrsprachige Kunsthistoriker und Archäologen, geht Ulli Seegers überall dorthin, wo Kunst ausgestellt und verkauft wird. Sie besucht Messen und prüft die Angebote der Auktionshäuser. Sie recherchiert im Internet und wühlt in Bibliotheken und Archiven, vor allem wenn es um Raubkunst aus der Zeit des Nationalsozialismus oder um Nachkriegsbeutekunst geht.

Die Erfolgsquote liegt nach ALR-Angaben bei 24 Prozent. Das heißt: Jeder vierte Kunstdiebstahl wird aufgeklärt. Erfahrungsgemäß sei die Trefferquote bei Gemälden besonders hoch. „Hier handelt es sich in der Regel um Unikate, während etwa Biedermeier-Möbel oftmals in Serie gefertigt worden sind“, erklärt Ulli Seegers. Wenn da ein Stück in einem Auktionshaus auftauche, müsse es nicht zwangsläufig das als gestohlen registrierte sein.

Als „Finderlohn“ berechnet das ALR maximal 20 Prozent vom Verkehrswert eines Kunstwerks. Beträgt dieser mehr als 75.000 Euro, wird die Provision für die Wiederbeschaffung nach einer Abwärtsstaffelung errechnet: Für Hochkaräter, so etwa für das 60 Millionen US-Dollar schwere Stillleben „Zinnkrug mit Früchten“ von Cezanne, lag der Satz bei einem Prozent des Werts. 1978 wurde das Gemälde geklaut, aber erst 20 Jahre danach von seinem Besitzer als gestohlen gemeldet. Nur wenige Monate später konnte es zurückgegeben werden.

Zwar arbeitet das Art Loss Register erfolgsabhängig, für die Grundfinanzierung der Kölner GmbH indes kommen die 15 Vertragskunden, also Auktionshäuser und Versicherer, mit je 4.000 Euro jährlich auf. „Davon bezahle ich meine Mitarbeiter“, sagt Ulli Seegers. Trotz gelegentlicher „Coups“ arbeite man „höchstens Kosten deckend“. Eine Wiederbeschaffung der bei der Kunstmesse Art Cologne im vergangenen November gestohlenen Werke des Surrealisten Max Ernst und des Bildhauers A.R. Penck etwa biete Perspektiven. Wie ein solcher Diebstahl überhaupt möglich sei? Nun, ähnlich wie Museen seien große Kunstmessen nun mal „nie hundertprozentig“ abzusichern, erklärt Seegers. „Eine gewisse Schwundquote gibt es immer. Auf- und Abbau bei einer Messe sind die kritischsten Phasen, da sind tausende Bilder gleichzeitig in Bewegung, und wer da bei den Arbeiten in den Hallen rein- und rausgeht, ist nur schwer zu kontrollieren.“

Über das Schicksal des Ernst-Gemäldes „Ohne Titel“ und Pencks Skulptur „Kleiner Totem“, die natürlich beim Art Loss Register als vermisst eingetragen sind, lassen sich nur Vermutungen anstellen. Für Hehler sei die Ware erst einmal zu heiß, daher tauche sie sicher so schnell nicht wieder auf, so Seegers. Aber Kunstwerke dienten zudem als Pfand bei Lösegelderpressungen. Auch gebe es bisweilen eine Verquickung von Auftragsklau, Drogenhandel oder Geldwäsche. Alles schon da gewesen. „Kunst wird immer mehr zu Währung“, sagt die Kölner ALR-Chefin. Kunstraub sei die Stiefschwester des Kunsthandels, Hehlerei die Kehrseite eines florierenden Marktes.