Stolz und Randale am Obelisken

ARGENTINIEN Die Argentinier sind sauer, dass es beim Foul von Neuer gegen Higuaín keinen Elfmeter gab. Vor allem aber feiern sie die eigene Mannschaft – jedenfalls die meisten

„Das werden sie jetzt wieder in aller Welt zeigen: ‚Seht her, die Argentinier können nicht verlieren‘ “

AUS BUENOS AIRES JÜRGEN VOGT

Argentinien hat am Sonntagabend das Unmögliche geschafft: Nach dem Schlusspfiff des Finales feierten die Argentinier den zweiten Platz! Trotz der Niederlage im Finale gegen die deutsche Mannschaft waren die Menschen nach dem Abpfiff auf die Straßen und Plätzen in nahezu allen Städten und Dörfern des Landes gezogen. Die Formel vom „argentinischen Traum auf den Titel“ ersetzten sie durch „Stolz auf unsere Mannschaft“. Orgullo, Stolz, war das Wort des Abends.

Im Zentrum der Hauptstadt Buenos Aires versammelte sich rasch eine riesige Menschenmenge um den Obelisken und feierte überschwänglich die Vizeweltmeisterschaft. Die lange friedliche Jubelfeier wurde jedoch von schweren Ausschreitungen überschattet, als Jugendliche begannen, mit Steinen zu werfen und umliegende Geschäfte und Restaurants zu plündern. Was folgte, war eine mehrstündige Straßenschlacht mit der Polizei. Die setzte Wasserwerfer, Tränengas und Gummigeschosse gegen die Randalierer ein. Mindestens 100 Menschen wurden verletzt, darunter 45 Polizisten. 70 Menschen wurden vorübergehend festgenommen.

Während auf der einen Seite der überbreiten Avenida 9 de Julio die Krawalle tobten, wurde auf der anderen Seite gefeiert, bis die Tränengasschwaden alle friedlich Jubelnden erreicht und vertrieben hatten. „Das werden sie jetzt wieder in aller Welt zeigen: ‚Seht her, die Argentinier können halt nicht mit Niederlagen umgehen‘ “, schimpfte ein älterer Mann.

Der Stolz auf das Auftreten der Mannschaft in Brasilien wurde denn auch zwischenzeitlich von der Wut auf die eigenen Landsleute verdrängt. „Es ist immer die gleiche Scheiße, du willst friedlich feiern und dann kommen ein paar Deppen und machen alles kaputt“, sagte ein junge Frau mit Tränen in den Augen. „Davor plündern sie einen Kleiderladen, das sind doch organisierte Banden, die haben doch nur darauf gewartet, dass sie loslegen können“, deutete ein Mann auf ein Geschäft und brachte sich mit seinem kleinen Sohn in Sicherheit.

Präsidentin Cristina Kirchner war trotz der Niederlage ebenfalls stolz. „Alle Argentinier sind stolz auf ihre Mannschaft“, sagte sie Nationaltrainer Alejandro Sabella in einem Telefongespräch. Allerdings könnte sich die Präsidentin am Ende noch zur Buhfrau entwickeln. War sie am Sonntag schon aus familiären Gründen – der erste Geburtstag ihres Enkelsohnes stand ein Tag danach an – nicht zum Endspiel nach Rio de Janeiro gereist, so wird sie die Mannschaft auch nicht wie erwartet im Präsidentenpalast empfangen. Lediglich eine kurze Begrüßung auf dem Gelände des Fußballverbandes AFA ganz in der Nähe des Flughafens Ezeiza ist vorgesehen. Anschließend wird die Präsidentin zum Enkel fliegen, während die Mannschaft im offenen Bus zum Obelisken fährt. Das Sahnehäubchen: Am Dienstag fliegt Kirchner dann zum Gipfel der Brics-Staaten nach Fortaleza.

Allgemein wird der Sieg der deutschen Mannschaft als verdient anerkannt. Der Zorn richtet sich auf den italienischen Schiedsrichter Nicola Rizzoli, der nach dem spektakulären Eingreifen von Manuel Neuer gegen Gonzalo Higuaín den Argentiniern den aus ihrer Sicht zwingenden Elfmeter verweigerte. „Der Codesal des Jahrhunderts“, untertitelte Argentiniens große Fußballzeitung Olé das Bild von Rizzoli, in Anlehnung an den mexikanischen Schiedsrichter Edgardo Codesal, der den Deutschen im Finale von 1990 einen aus argentinischer Sicht unberechtigten Elfmeter zusprach, der damals zum 1:0-Sieg der Deutschen führte.

Dennoch bewerten die meisten Medien vor allem das Abschneiden der eigenen Mannschaft positiv. „Argentiniens ganzer Stolz“, heißt es im Nachrichtensender TN. „Die Mannschaft hat alles gegeben, aber es hat nicht gereicht“, titelte der Nachrichtensender C5N. „Der argentinische Traum wurde durch ein Tor in der Verlängerung zunichte gemacht: Deutschland Weltmeister“, schrieb die größte Tageszeitung Clárin.