die deutscharabische schweiz von HARTMUT EL KURDI
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Mein ideales Kurzurlaubsziel ist Basel: innerhalb eines halben Tages zu erreichen, aber weit genug entfernt, um mich ein echtes Reisegefühl entwickeln zu lassen. Basel ist immerhin Ausland: Man muss sogar Geld tauschen. Wo hat man das heute noch in Europa? Andererseits liegt Basel direkt hinter der Grenze, man könnte im Falle eines Falles also ganz schnell wieder zurück. Was ich aber gar nicht möchte, weil ich Basel klasse finde. Und wenn mir jetzt die Baseler widersprechen, dann sage ich nur: Ihr habt Recht!

Merke: Der auswärtige Besucher hat das Privileg, die von ihm besuchte Stadt uneingeschränkt funky finden zu dürfen, wohingegen jeder denkende Einwohner eines Ortes unbedingt – nicht nur um sich vom enthirnten Lokalpatrioten zu unterscheiden – unter seinem Einwohnertum leiden sollte. Schließlich kennt er sich aus und weiß auch um die düsteren Seiten der Stadt. So ist das eben: Der Baseler hat Basel zu fluchen, ich aber als besuchender Deutscher kann die Stadt hemmungslos lieben. Und das aus folgenden vier guten Gründen:

Erstens habe ich mal im Toilettenvorraum des Baseler Naturhistorischen Museums den Großdramatiker Rolf Hochhuth an einem Münzfernsprecher telefonieren gesehen, und das Tollste daran war, dass er mich dabei die ganze Zeit anschaute, als wollte er sagen: „Ja, ich bin’s wirklich, der Großdramatiker Rolf Hochhuth!“ Das war auf eine milde Art sehr unterhaltend.

Zweitens verkaufe ich jedes Mal, wenn ich zu einer Lesung nach Basel eingeladen werde, hinterher genau 19 Bücher. Das verstört mich angenehm.

Drittens hat mir bei meinem letzten Besuch die alte Dame von der Messerschmiede Ottenburg – nachdem ich ein „Sackmesser“ mit handgesägtem Holzgriff gekauft hatte – die Werkstatt ihres Gatten gezeigt, die aussah wie in einem alten Heinzelmännchenfilm. Dann erzählte sie mir noch, wie der frühere Besitzer der Schmiede ihren späteren Mann als dreizehnjährigen Waisenknaben aus dem Waisenhaus geholt und in die Lehre genommen hatte und ihn zunächst wochenlang in eben jener Werkstatt auf einem Strohsack übernachten ließ. Da musste ich erst mal nach Hause gehen und mit Tränen in den Augen „Oliver Twist“ durchlesen.

Viertens geschieht bei meinen Basel-Besuchen immer etwas Wunderbares: Ich werde als Deutscher diskriminiert! Hierzulande wird mir ja aufgrund meines Nachnamens und meiner Halbherkunft die Einordnung als Deutscher des Öfteren verweigert. In Schweizer Geschäften werde ich aber wegen meiner Sprache sofort als Deutscher identifiziert und dann gnadenlos und hinterfotzig in Schweizerdeutsch zugetextet. Leider verstehe ich das so gut wie gar nicht und versuche also weiter hilflos in Hochdeutsch zu kommunizieren, worauf aber keiner eingeht. Stattdessen schaut man mich an, als wäre ich die inkarnierte germanische Arroganz und plante, die Schweiz der Bundesrepublik Deutschland als 17. Bundesland anzuschließen. Ich genieße das sehr.

Wenn es mir dann allerdings zu doof wird, lasse ich mir einen Schnellschnäuzer wachsen, spreche gebrochenes Englisch und behaupte, ich sei der Neffe des Kulturattachés von Bahrain. Das geht dann auch.