Weltabschaffungssoundtrack

SPACE-PUNK Mit ihrem Debüt „Lux“ sorgten die Chicagoer Minimal-LoFi-Noise-Rocker „Disappears“ mit jeder Menge Hall, Tremolos, Delays und repetitiven Riffs letztes Jahr für Furore. Jetzt werden sie mit ihrem zweiten Album „Guider“ noch einmal deutlicher

Mit jeder Menge Verzerrung, Hall und Delays vernebelte No-Fidelity-Unendlichkeit

VON ROBERT MATTHIES

Dass schon die ersten Sekunden eines jeden Songs bei der Hörerin geradezu zwanghaft große Namen evozieren, kann für eine Band ebenso Fluch wie Segen bedeuten. Alles hängt dann davon ab, ob man die Bürde zu stemmen weiß – los wird man sie so schnell nicht mehr.

Als die Chicagoer Rocker „Disappears“ um Brian Case, bis vor vier Jahren Sänger und Gitarrist der Mathe-Rocker „90 Day Men“ und derzeit noch Gitarrist der Garagen-Rocker „The Ponys“, im letzten Jahr auf dem eher für Elektronisches und Experimentelles à la „Godspeed You! Black Emperor“ oder „Charalambides“ bekannten Label Kranky ihr Debüt „Lux“ vorlegten, waren die unvermeidlichen Vergleiche allerdings so zahlreich, dass man am Ende der Liste voller Namen, Rock-Epochen und Subgenres genau so schlau war wie am Anfang: Als beerbten „Disappears“ zwischen New Zealand-LoFi, Shoegaze-Spacerock, 60s-Fuzz-, Prog- und Krautrock, Post- und Garagen-Punk und post-minimalistischem Totalismus so ziemlich alles, ohne dabei noch irgendetwas ausdrücklich zu benennen; als extrahierten „Disappears“ inmitten all der Referenzen die Essenz des Rock seit den 60ern und pressten dieselbe immer wieder in düster-dissonant und minimalistisch-repetitiv vor sich hinrumpelnde und -wabernde, mit jeder Menge Verzerrung, Hall, Tremolos und Delays vernebelte drei Minuten No Fidelity-Unendlichkeit.

Worauf man sich dabei noch am ehesten einigen kann: Dass die Grundsteine der einstürzenden Garagen-Klangwände, an die „Disappears“ ihren Space-Punk tapezieren, „Velvet Underground“, „Spaceman 3“, „Public Image Ltd.“ und „Sonic Youth“ heißen. Dass Cases lakonisch-verärgerter Sprechgesang mal eher an Lou Reed, mal eher an John Lydon und mal eher an Mark E. Smith erinnert. Und dass der ganze „real earthquake mindfuck“ einen fulminanten Soundtrack zur Abschaffung der Welt abgeben würde.

Mit ihrem zweiten Album „Guider“ haben „Disappears“ nun nachgelegt und sind dabei, zumindest ein wenig, aus dem ganz tiefen Klang-Dreck herausgeklettert. Und haben zwei Überraschungen mitgebracht: So nah wie mit „New Fast“ waren sie bislang an Krautrock-Motorik à la „Neu!“ noch nie. Und so lang wie beim epischen „Revisiting“ danach waren sie auch noch nie zu haben: die Hälfte des Albums nimmt der 16-Minuten-Song ein.

Morgen bringen „Disappears“ die Katakomben des Fundbureaus zum Beben. Gemeinsam mit der darüber hinwegdonnernden S-Bahn und mit ihrem neuen Schlagzeuger: seit kurzem gibt bei den Chicagoern niemand Geringeres als „Sonic Youth“-Trommler Steve Shelley den stoischen Rhythmus vor.

■ So, 20. 2., 21.30 Uhr, Fundbureau, Stresemannstraße 114