Grimme vor Privatisierung

Bei den Nominierungen zu Deutschlands Top-Fernsehpreis legen kommerzielle Sender zu. Event-Formate außen vor

Wir haben es immer geahnt: Qualitätsfernsehen muss nicht zwangsläufig öffentlich-rechtlich sein. Und darf sogar Spaß machen und unterhalten. Auch die Nominierungen für den diesjährigen Adolf-Grimme-Preis beugen sich allmählich dieser Erkenntnis: In der neuen Separat-Kategorie „Unterhaltung“ für Serien, Shows und den ganzen Rest stammen drei Viertel der nominierten Produktionen von privaten Sendern. Auch drei von den 21 Fernsehserien und TV-Movies auf der Fiction-Liste sind made by Sat.1 oder ProSieben.

Selbst in der Kategorie „Information/Kultur“ – und das ist fast eine Premiere – findet sich mit Antonia Rados „Feuertod“ über die Selbstverbrennung einer gedemütigten, zwangsverheirateten Afghanin eine RTL-Doku.

Die großen TV-Events – egal ob öffentlich-rechtlich oder privat – gehen dagegen in schönster Eintracht beinahe leer aus. Nur „Nicht alle waren Mörder“ (ARD) über Michael Degens Kindheit im Nazi-Berlin ist nominiert. „Dresden“ (ZDF) findet sich in der Liste nur als Spezial-Nominierung für Kameramann Holly Fink. Von Quotenknüllern wie „Neger, Neger, Schornsteinfeger“ (ZDF), „Die Sturmflut“ (RTL) oder „Die Luftbrücke“ (Sat.1) fehlt dagegen jede Spur.

Mit der Einführung der eigenständigen Unterhaltungs-Kategorie will man bei Grimmes dieses TV-Segment stärker ins Preisbewusstsein holen. Auch sonst gibt es Neues bei Deutschlands wichtigstem Fernsehpreis: Die Zahl der Auszeichnungen reduziert sich von 14 auf 12, und selbst das Edelmetall hat ausgedient: Die sprachlich immer etwas holprig klingende Zusatzbelobigung als „Grimme-Preis mit Gold“ ist Geschichte. Inhaltlich haben gleich zwei Stoffe Hochkonjunktur: Um die deutsch-türkische Thematik kreisen Komödien wie „Türkisch für Anfänger“ (ARD), „Meine verrückte türkische Hochzeit“ (ProSieben) oder der „Fussbroichs“-Nachfolger „Die Özdags“ (WDR), aber auch weniger heitere Kost: Nominiert ist natürlich auch die WDR-Produktion „Wut“, über deren Sendetermin die ARD in Streit geriet.

Daneben steht – passend zum gesellschaftspolitischen Grundrauschen dieser Tage – eine thematische Tendenz hin zu Familie und Kindern. Auch hier zeigen die Preisanwärter so etwas wie TV-Privatsphäre: Nominiert sind aus der ProSieben-Reihe „We are family“ der Beitrag „Unsere Mama ist ein Schmetterling“ über einen patenten Hausmann, der sich nach dem Tod der Mutter mit den Kindern allein durchs Leben schlägt, die Kids-Comedy „Ready, Paddy, Show!“ (SuperRTL) oder die Doku-Soap „Suche Familie!“ (RTL II).

In der weiterhin eher erratischen Rubrik „Spezial“ für besondere Einzelleistungen schlägt WM-Analyst Jürgen Klopp (nominiert) seinen ZDF-Kollegen Kerner (nicht nominiert), bei der ARD unterliegt Herr Schmidt im eigenen Stadion Olli Dittrich, der für seine Beckenbauer-Parodie in der „Harald Schmidt Show Spezial: Was tun, Herr Beckenbauer?“ nominiert ist.

Wer nun wirklich eine der begehrten, aber hässlichen Trophäen bekommt, entscheiden nun die Jurys, die noch in geringem Maße weitere KandidatInnen ins Rennen schicken können. Die Grimme-Preise werden traditionell Ende März in Marl verliehen.

KAS, STG