Nur nicht klein beigeben

Die Konzernspitze gelobt Besserung, für die Skandale entschuldigt sie sich bei den Anlegern aber nicht

AUS MÜNCHEN ULRIKE FOKKEN

Eine Unterwerfung sieht anders aus. Die Führungsriege von Siemens hat sich bei den Aktionären nicht entschuldigt, sie hat Besserung versprochen. Das ist allerdings das Mindeste, was die großen und die kleinen Anleger des Konzerns auf der gestrigen Hauptversammlung erwartet hatten. Den Auftritt von Aufsichtsrat Heinrich von Pierer findet eine Kleinaktionärin ebenso „flach“ wie die vom Vorsitzenden des internen Prüfungsausschusses, Gerhard Cromme, und von „dem Jungen“, dem Vorstandschef Klaus Kleinfeld.

„Unbefriedigend“ findet Daniela Bergdolt von der Schutzvereinigung für Wertpapierbesitz die bisherigen Bemühungen der Siemens-Spitze, die Skandale aufzuklären. Ihr Fazit ist so klar wie unerbittlich: „Es gibt keine Veranlassung, den Vorstand zu entlasten.“ Und da brandet erstmals der Applaus der rund 12.000 Aktionäre in der Münchner Olympiahalle auf. Endlich spricht den Anlegern und Mitarbeitern eine Rednerin aus der Seele. Endlich gibt jemand ihrer Enttäuschung eine Stimme.

„Nicht entlasten“ werden auch weitere Vertreter von Aktionärsvereinigungen, Fonds und Anlagegesellschaften fordern. Das hat es auf einer Siemens-Hauptversammlung noch nie gegeben. Unabhängig von aller Kritik oder durchaus auch von schlechteren Zahlen in den vergangenen Jahrzehnten, haben die Anleger dem Vorstand und Aufsichtsrat noch nie die Gefolgschaft verweigert. Bis in den Abend hinein werden die Siemens-Anleger sogar mehrfach Kleinfeld und von Pierer auffordern: „Treten Sie zurück!“

Denn genug ist genug. Erst hat im Spätsommer 2006 Aufsichtsratschef Heinrich von Pierer seinem Vorstand die Gehälter um 30 Prozent erhöht. Dann wird das Desaster BenQ bekannt, und Siemens verliert nach offizieller Darstellung eine halbe Milliarde Euro. Intern sprechen Controller allerdings von der doppelten Summe. Und kaum hatte sich der Wirbel gelegt, durchsucht am 15. November die Münchner Staatsanwaltschaft die Konzernzentrale und der Bestechungsskandal wird bekannt. Allerdings nicht gleich und er wird auch nicht von Vorstandschef Kleinfeld und seinem Vorgänger von Pierer umgehend aufgeklärt.

Tag für Tag erfahren Mitarbeiter und Anleger mehr und mehr über die geschickt organisierten schwarzen Kassen, Scheinfirmen und Geldtransfers der Manager aus der Zeitung. Das regt die Anleger am meisten auf: Dass ihr Konzern nicht in der Lage ist, die Korruptionsaffäre vernünftig darzustellen.

Nach bisherigen Kenntnissen gingen dem Konzern dadurch 480 Millionen Euro verloren, noch einmal 429 Millionen Euro verlangen seit zwei Tagen die EU-Kartellwächter von Siemens. Zwischen 1988 und 2004 hatten Siemens- Mitarbeiter sich mit Kollegen von japanischen und französischen Wettbewerbern über die Preise von gasisolierten Schaltanlagen abgesprochen. Die 429 Millionen Euro Strafe belasten bereits das Ergebnis des ersten Quartals im Geschäftsjahr 2007: Zwar ist das Ergebnis zwischen dem 1. Oktober und 31. Dezember 2006 um 51 Prozent auf 1,631 Milliarden Euro gestiegen. Aber nach Steuern und Strafzahlung bleiben nur 788 Millionen Euro.

Für die Aktionäre ist dieser jüngste Beweis des schlechten Managements bei Siemens ärgerlich. Für Aufsichtsratsmitglied Josef Ackermann ist die Strafzahlung eine „Vergangenheitsbewältigung“, wie er der taz sagt.

Nach dem EU-Verfahren wissen Anleger also: Siemens ist nicht nur korrupt, sondern achtet auch die Grundregeln der freien Marktwirtschaft nicht. „Vorverurteilungen“ nennt das der Siemens-Chef Kleinfeld. Er ist schlau genug, die offensichtlichen Missstände im Konzern nicht kleinzureden. Er gibt aber auch nichts preis. Er spricht lieber von kompliziert klingenden Kontrollsystemen im Konzern, mit Prüfungskommissionen, Berichterstattern, Zertifizierungen und Zwischenprüfern.

Die Anleger hätten aber gern erfahren, warum die Kontrollmechanismen im Konzern versagt haben. Warum die Wirtschaftsprüfer nie etwas von den Millionenabflüssen bemerkt haben, warum auch ein Vorstand nicht bemerkt haben will, dass von 1999 bis 2004 mindestens eine halbe Milliarde Euro dem Unternehmen entzogen wurden.

„Ihr Kontrollsystem ist ein Armutszeugnis“, attestiert Aktionärsschützerin Daniela Bergdolt dem Vorstandschef Kleinfeld. Vielleicht, fragt eine Investmentbankerin, ist Siemens zu groß, um überhaupt kontrolliert werden zu können. Das würden die Unternehmenslenker im Vorstand und Aufsichtsrat selbstverständlich nie so sagen. Und überhaupt: Bewiesen ist noch gar nichts. Von Pierer wird nicht müde, das zu betonen. Bevor sie nicht rechtskräftig verurteilt sind, seien die beschuldigten Mitarbeiter unschuldig. Heinrich von Pierer bemüht für seine früheren Mitarbeiter das Grundgesetz und die UN-Charta: „Auch für sie gelten die Menschenrechte.“