Käthes und Pauls Enkel

INSOLVENZ Die Firma Prokon und ihr Gründer Carsten Rodbertus warben mit einer sicheren und sauberen Geldanlage – nun drohen den Anlegern Verluste und dem Exchef Strafverfahren

VON ESTHER GEISSLINGER

Jeanshemd, Jacke, das weiß-graue Haar hinten zu einem festen Zopf geflochten, die Miene besorgt, aber entschlossen. So stand Carsten Rodbertus im Januar in einer Werkshalle im schleswig-holsteinischen Itzehoe, hinter ihm ragten die Turbinenteile von Windrädern im Bau auf.

Damals erhielt der Gründer und Geschäftsführer der Firma Prokon noch donnernden Applaus von den einigen Hundert Beschäftigten, die sich in der Halle versammelt hatten, um Einzelheiten über den Stand des Unternehmens zu erfahren. Schon damals war Prokon in die Schlagzeilen geraten, die Firma stand vor einem Insolvenzverfahren, Zehntausende Anleger bangten um ihr Geld.

Rodbertus sprach dennoch von Zukunftsperspektiven – heute sieht sich der 53-Jährige mit Strafanzeigen konfrontiert. Die Staatsanwaltschaft in Lübeck ermittelt wegen Insolvenzverschleppung, auch von Betrug und Untreue ist inzwischen die Rede. Darüber hinaus erwägt der Insolvenzverwalter Dietmar Penzlin zudem, ob er Carsten Rodbertus auf Schadenersatz verklagen soll.

Ob der ehemalige Chef künftig in seiner Firma noch etwas zu sagen hat, entscheidet sich am Dienstag. Dann stimmen die Anleger, die bei Prokon insgesamt 1,4 Milliarden Euro investiert haben, auf einer Versammlung über den künftigen Weg ab. Für 75.000 Betroffene geht es um den drohenden Verlust ihres Kapitals – darüber hinaus steht die Frage im Raum, ob die Kernidee, nämlich mit sauberem Strom Geld zu verdienen, tragfähig ist.

Es sah so leicht aus in der Werbung, die Prokon bundesweit verteilte: Aus einem gelb-schwarzen Atomzeichen wird ein Windrad, das sich über einer blühenden Landschaft dreht. Gutes tun und profitieren: „Schon ab 100 Euro können Sie bei Prokon investieren – für eine lebenswerte Zukunft“, lautete der Werbeslogan.

Der Firmenchef Carsten Rodbertus passte perfekt zu seinem Produkt. Der gelernte Industriekaufmann arbeitete als Buchhalter, war in einem mittelständischen Unternehmen für Finanz- und Rechnungswesen zuständig. Zur Gründungslegende von Prokon gehört auch, dass Rodbertus sich nach der Tschernobyl-Katastrophe dem Thema erneuerbare Energie zuwandte.

1993 stellte Carsten Rodbertus im Dorf Arkebek im Kreis Dithmarschen zwei Windräder auf, die Käthe und Paul heißen, nach seinen Großeltern. 1995 gründete er mit dem Diplomingenieur Ingo de Buhr das Unternehmen Prokon – das Kunstwort steht für „Projekte und Konzepte“. Die beiden Partner trennten sich schon nach zwei Jahren wieder, Rodbertus führte danach die Firma allein weiter.

Windparks zu planen und zu bauen ist teuer. Die Investitionen sammelte Prokon nicht von Banken, sondern privaten Anlegern ein. Die Geschäfte liefen erfolgreich, sogar mehr als das. Man wisse gar nicht, wohin mit dem Geld, habe der Chef auf der Weihnachtsfeier 2010 gesagt, zitiert die Lokalzeitung Norddeutsche Rundschau eine ehemalige Mitarbeiterin.

In Itzehoe entstand eine Werkshalle, die Beschäftigten kamen in den Genuss einer Betriebskita und durften über Lohnerhöhungen mit abstimmen. Prokon investierte in den Prototyp einer neuer Windanlage in Mecklenburg-Vorpommern, spendete Geld für das erste Windrad in Weißrussland, und der Fallschirmspringerverein auf dem Itzehoer Flugplatz „Hungriger Wolf“ freut sich über eine Cessna, die teils als Firmenflieger für Prokon, teils für den Verein verwendet wurde – einer der Punkte, die bei den heutigen Klagen eine Rolle spielen.

Doch bei Finanzexperten und Verbraucherschützern schrillten die Alarmglocken. Die Verbraucherzentrale Hamburg klagte wegen unlauterer Werbung und bekam 2012 auch recht. Denn Prokon versprach eine Investition in „reale, zukunftssichere und rentable Sachwerte“ sowie „sichere Einnahmen“, gar ein „grünes Sparbuch“.

Aber wer Prokon Geld gab, erwarb nur sogenannte Genussrechte, und was das ist, wissen die 75.000 Anleger inzwischen genau. Es handelt sich um eine Sonderform von Wertpapieren, die zwischen Aktien und Anleihen stehen. Wer Genussrechte kauft, übernimmt keine Anteile an einem Unternehmen, wie es bei einer Aktie der Fall ist, sondern stellt nur Geld zur Verfügung, für das Zinsen ausgezahlt werden – solange die Firma Gewinne macht.

Geht etwas schief, haben die Besitzer der Genussscheine nur nachrangige Rechte. Andere Gläubiger, etwa Zulieferer, bedienen sich zuerst aus der Konkursmasse. Die 75.000 Menschen, die in der Hoffnung auf sichere, saubere Gewinne Scheine von Prokon kauften, könnten alles verlieren.

Der Insolvenzverwalter Dietmar Penzlin glaubt, dass die Firma noch zu retten sei und ihr Kerngeschäft, also die Planung und den Betrieb von Windparks, weiterbetreiben könne. Auch gut 300 der früher 480 Arbeitsplätze hofft Penzlin retten zu können. Allerdings nur ohne Exchef Carsten Rodbertus, den Penzlin entlassen hat.

Der Insolvenzverwalter wirft laut Nachrichtenagentur dpa dem ehemaligen Geschäftsführer vor, Unwahrheiten zu verbreiten und seine Bücher unsauber geführt zu haben. So gebe es bereits im Jahresabschluss 2012 Regelverstöße, auch ist von Krediten die Rede, die Rodbertus ohne Sicherheiten vergab.

Rodbertus dagegen erklärt, der Insolvenzverwalter Penzlin wolle den Betrieb zerschlagen, während er selbst Prokon insgesamt sanieren möchte. Beide werben unter den Anlegern für ihre Sicht der Dinge.

Wer mehr Stimmen gesammelt hat, wird sich am Dienstag in den Hamburger Messehallen zeigen. Penzlin will sich von der Gläubigerversammlung genehmigen lassen, bis Jahresende den Sanierungsplan auszuarbeiten. Für Rodbertus’ Gegenentwurf hat er wenig übrig: Der Exgeschäftsführer verbreite „Fantasiezahlen“.