Arm, entspannt und sexy

Der Senat betont ständig, wie supercrazyhip die Hauptstadt für Touristen ist. Er ist nicht allein. Die taz fragte Fachleute auf dem Tourismusgipfel. Heraus kam eine Lobhudelei auf günstige Hotelbetten, spannende Kultur und tolle Busspuren

Berlin ist up to date

Erwin Pfeiffer, Leiter der Abteilung Touristik beim ADAC: „Ich bin in München zu Hause, aber ich komme drei- bis viermal im Jahr nach Berlin. Am Flughafen nehme ich immer den Bus, weil ich sehen will, was sich wieder wo verändert hat. Es ist toll, wie sich Berlin updatet. Die Anfragen, die beim ADAC im Bereich Routenplanung eingehen, zeigen: Berlin hat als touristisches Ziel einen Top-Stellenwert, nicht nur im innerdeutschen Vergleich. Auch was die anderen Metropolen Europas angeht, kann Berlin ohne Probleme mithalten. Die Stadt hat nicht nur viel zu bieten, es gibt auch ein vernünftiges Preis-Leistungs-Verhältnis. Für eine Übernachtung in der Innenstadt zahlt man zum Teil die Hälfte von dem, was es in anderen Großstädten kostet. Man kann sich zu Fuß vom Hotel aufmachen, um die Sehenswürdigkeiten zu besuchen. Die Fußläufigkeit, auch das ist ein Argument für Berlin. Durch das Internet sind die Touristen heutzutage viel informierter. Sie haben fast die gleichen Kenntnisse wie die Reisebüroangestellten, mitunter wissen sie sogar mehr. Günstige Flüge mit Low-Cost-Carrier machen Appetit auf Kurzreisen. Rom–Berlin ist ganz billig zu haben. Ich lehne es ab, diesen Tourismus als Billigtourismus zu diffamieren. So ist es in der Vergangenheit auch dem Campingtourismus in Deutschland ergangen. Wer mit einem Wohnmobil unterwegs ist, gibt kein Geld aus, hieß es. Das stimmt nicht. Auch Camper gehen essen und shoppen. In Häusern wie dem Hotel Adlon mag eine hohe Kaufkraft versammelt sein, aber die breite Masse macht’s. Ich bin mir sicher: Berlin wird im Tourismus auch in Zukunft vorne mitspielen.“

Berlins ist beispielhaft

Richard Eberhardt, Präsident des Internationalen Bustouristik Verbandes: „Ich lebe in Pforzheim. Jedes Mal, wenn ich nach Berlin komme, freue ich mich, was für Fortschritte die Stadt wieder gemacht hat. Im Internationalen Bustouristik Verband sind 3.000 Mitglieder und 1.000 Reiseveranstalter und Busbetreiber vertreten. Berlin ist für die Buswirtschaft eines der Hauptziele überhaupt. Die ganze Bandbreite aus allen gesellschaftlichen Schichten reist per Bus nach Berlin: Von den Touristen, die in 4- und 5-Sterne-Hotels absteigen bis hin zu den Menschen, die morgens nach Berlin kommen und abends wieder nach Hause fahren. Die Möglichkeit, die Busspuren in Berlin auch für touristische Busse zu nutzen, ist für ganz Deutschland und vielleicht sogar Europa beispielhaft. Wir wünschen uns, dass noch viel mehr Städte diesem Beispiel folgen.“

Berlin ist interessant

Klaus Laepple, Präsident des Bundesverbandes der Deutschen Tourismuswirtschaft: „Obwohl ich in Düsseldorf lebe, bin ich etwa drei Tage in der Woche in Berlin. Für mich ist die Hauptstadt die interessanteste Stadt in Deutschland. Meine Prognose ist: Der Tourismus in Berlin wird weiter wachsen. Aber die Optimierung des Angebots stelle ich mir schwierig vor, Berlin hat ja schon jetzt verdammt viel zu bieten. Und die Angebote werden nachgefragt, sonst wären ja nicht so viele Touristen hier. Bei den Hotels hat Berlin eindeutig Überkapazitäten, im 4- und 5-Sterne-Bereich gibt es deutlich mehr Betten als in New York. Wenn in einem Hotel wie dem Ritz Carlton das Zimmer im Internet statt für 1.000 Euro pro Nacht für nur 143 Euro angeboten wird, ist das für den Kunden natürlich sehr erfreulich – für den Hotelier aber keineswegs.“

Berlin ist günstig

Rüdiger Leitner, Direktor für Tourismuswirtschaft bei der Europäischen Kommission: „Dass Berlin eine arme Stadt ist, nehmen Touristen überhaupt nicht wahr. Berlin gilt als Kulturmetropole mit sehr vielen Events. Ich habe Kontakt mit vielen Kollegen, die auf Dienstreise aus Brüssel hierhin kommen. Viele hängen zwei Tage dran, weil sie die Stadt so interessant finden. Businesstouristen aus Brüssel bringen viel Geld, sie schlafen nicht in der Jugendherberge. Der EU-Tagessatz inklusive Übernachtung beträgt 210 Euro, allein für die Verpflegung dürfen die Reisenden 70 Euro ausgeben. Zum Vergleich: Ein deutscher Beamter, der einen Tag in Brüssel verbringt, bekommt 25 Euro fürs Essen.“

Berlin hat Selbstmitleid

Bernd Tiedemann, Vorsitzender des Tourismusverbandes Hamburg: „Berlin sollte ein bisschen weniger in Selbstmitleid zerfließen. Etwas mehr von der Berliner Schnauze wäre nicht schlecht. Die Hauptstadt ist als touristisches Ziel hochattraktiv. Viele Touristen, die auf Kreuzfahrtschiffen in Hamburg ankommen, fahren auch nach Berlin – vor allem die Amerikaner. Kaum haben sie angelegt, steigen sie in den Zug um. Für einen Amerikaner sind die paar hundert Kilometer ja keine Entfernung. Aber wir sehen das entspannt und freuen uns über die gute Kooperation.“

PROTOKOLL:
PLUTONIA PLARRE