Sinn Féin erkennt Nordirlands Polizei an

In einer historischen Abstimmung erklärt die IRA-nahe Sinn Féin, mit der überwiegend protestantischen nordirischen Polizei zu kooperieren. Damit ist der Weg für eine neue Allparteienregierung frei – wenn die Protestanten mitspielen

AUS DUBLIN RALF SOTSCHECK

Mit rund 90 Prozent der abgegebenen Stimmen hat der Parteitag der irisch-nationalistischen Sinn Féin am Sonntag in Dublin die nordirische Polizei anerkannt. Mit der Entscheidung ist der Weg frei für die Bildung einer neuen Allparteienregierung in Nordirland. Der britische Premierminister Tony Blair sprach von einer „historischen Entscheidung“, sein irischer Amtskollege Bertie Ahern bezeichnete das Ergebnis als „Meilenstein“, der den Weg zu einer neuen Machtteilung zwischen Katholiken und Protestanten in Nordirland öffne.

Die Kooperation der katholischen Sinn Féin, des politischen Flügels der Irisch-Republikanischen Armee (IRA), mit der überwiegend aus probritischen Protestanten gebildeten nordirischen Polizei war einer der wichtigsten Punkte für den neuen britisch-irischen Friedensplan für Nordirland. Allerdings hat Sinn Féin die Kooperation an Vorbedingungen geknüpft – so soll im Gegenzug die protestantische Democratic Unionist Party (DUP) des radikalen Pfarrers Ian Paisley mit Sinn Féin zusammenarbeiten und einer Übertragung der Kontrolle von Polizei und Justizwesen von Großbritannien an die örtlichen Behörden zustimmen. Ob die DUP dem folgt, ist mehr als ungewiss.

Sinn Féins Entscheidung kommt nur sechs Tage nach der Veröffentlichung eines für die Polizei verheerenden Berichts. Nordirlands Polizisten haben jahrelang Morde, Mordversuche und Drogengeschäfte protestantischer Terrororganisationen gedeckt. Zu diesem Ergebnis kam eine Untersuchung, deren Ergebnis vorigen Montag von der Polizei-Ombudsfrau Nuala O’Loan vorgelegt wurde. Die Täter, Mitglieder der verbotenen Ulster Volunteer Force (UVF), arbeiteten als Informanten für die Polizei und wurden nicht nur von ihr bezahlt, sondern auch vor Strafverfolgung geschützt.

Der Bericht fördert wohl nur die Spitze eines Eisbergs zutage, weil sich die Untersuchung auf die Aktivitäten der Nord-Belfaster UVF-Einheit beschränkte, deren gesamte Führung für die Polizei arbeitete. Ihr Chef wird im Bericht zwar nicht namentlich genannt, doch es besteht kein Zweifel, dass es sich dabei um Mark Haddock handelt, der zurzeit eine zehnjährige Gefängnisstrafe wegen schwerer Körperverletzung verbüßt.

Seine Einheit hat zwischen 1991 und 2003 mindestens 10, vielleicht sogar 15 Morde begangen – also auch nach Unterzeichnung des Belfaster Abkommens vom Karfreitag 1998, das der Krisenprovinz Frieden bringen sollte. Der „Special Branch“, die Sondereinheit der Polizei, zahlte Haddock in diesem Zeitraum mindestens 80.000 Pfund und schützte ihn vor unbequemen Fragen. Dem Polizeibeamten Jonty Brown, der gegen Haddock vorgehen wollte, wurde von seinen Kollegen gedroht. „Mir wurde gesagt, ich solle die Finger davonlassen“, sagt er. „Haddock ginge mich nichts an.“

Haddock selbst war nach dem Mord an einer unbeteiligten Katholikin zusammengebrochen und hatte den Beamten die Tat ungefragt gestanden. Sein Führungsoffizier erklärte ihm, er solle sich beruhigen, erhöhte sein Gehalt und schickte ihn in den Urlaub.

Die Namen der beteiligten Beamten sind nicht im Bericht enthalten, da die Polizei die Akten zerstört habe, sagte O’Loan: „Das war kein Versehen, sondern eine Strategie, um nicht zur Rechenschaft gezogen zu werden.“ O’Loans Mitarbeiter Justin Felice, fügte hinzu, dass zahlreiche hochrangige Beamte, darunter drei ehemalige stellvertretende Polizeichefs, die Zusammenarbeit mit der Untersuchungskommission verweigerten.

„Es wäre leicht, ein paar einfachen Polizisten die Schuld zu geben, und tatsächlich sind sie nicht frei von Schuld“, heißt es in dem Bericht. „Aber sie hätten niemals ohne das Wissen und die Unterstützung der höchsten Ebene handeln können.“

Das könne heutzutage nicht mehr vorkommen, sagte O’Loan. Die nordirische Polizei wurde 2003 reformiert, zuvor hatte sie bereits einen neuen Namen erhalten. Aus der „Royal Ulster Constabulary“ (RUC) wurde der „Police Service of Northern Ireland“ (PSNI), die Krone verschwand aus dem Wappen der Polizei. Ziel ist es, die Polizei paritätisch mit Katholiken und Protestanten zu besetzen. Davon ist man noch weit entfernt, bisher stellen die Katholiken lediglich 21 Prozent, und das auch nur wegen tausend polnischer Immigranten, die in den Polizeidienst aufgenommen wurden.

Zwar hat Sinn Féin mit dem Beschluss, die Sitze in der Polizeiaufsichtsbehörde einzunehmen, eine Vorbedingung von Ian Paisley erfüllt. Der Protestantenpfarrer und Chef der größten Partei, der Democratic Unionist Party (DUP), hatte erklärt, erst dann werde er über die Bildung einer Mehrparteienregierung mit Sinn-Féin-Beteiligung nachdenken. Bisher hat er aber noch immer einen Grund gefunden, die Machtbeteiligung von Katholiken zu sabotieren.