Warten auf das Machtwort

Im Iran reagiert die Öffentlichkeit verunsichert auf das aktuelle Säbelrasseln der USA. Selbst Konservative rücken inzwischen von Ahmadinedschads Konfrontationskurs ab

In den arabischen Nachbarländern verfolgt man Irans regionale Ambitionen mit Misstrauen

Vielen Iranern ist die Zukunft nicht mehr geheuer. Der Ärger über die Inflation von über 12 Prozent und die Enttäuschung über Ahmadinedschads uneingelöstes Versprechen, dass sich der Aufschwung durch steigende Öleinnahmen auch auf den Tischen der Armen niederschlagen würde, ist einem tiefen Gefühl der Ratlosigkeit gewichen.

Beklommen verfolgt man Ahmadinedschads außenpolitische Kapriolen. Die Zeitungen schreiben über seine Lateinamerika-Reise, sein Treffen mit dem venezolanischen Regierungschef Hugo Chávez und das Projekt der beiden vereidigten Draufgänger, den ärmeren Ländern 1 Milliarde Dollar für den antiimperialistischen Kampf gegen die USA zur Verfügung zu stellen. Von Kriegsgefahr ist in den Medien kaum die Rede. Ausgerechnet das Teheraner Regierungsblatt Kayhan hat nun zum ersten Mal die Möglichkeit eines amerikanischen Angriffs in Erwägung gezogen. „Droht Krieg?“, fragte es am 24. Januar in einem Leitartikel.

Die Zeitung forderte die Regierung zu erhöhter Wachsamkeit auf: „Alle Möglichkeiten müssen aufmerksam verfolgt werden, und deshalb, aber nur deshalb muss auch die geringste Möglichkeit eines militärischen Schlags ernst genommen und Gegenmaßnahmen ergriffen werden.“ Auf die amerikanische Ankündigung, einen Flugzeugträger in den Persischen Golf zu schicken, antworteten die Iraner mit einem dreitägigen Test ihrer Kurzstreckenraketen. Und mit dem Hinweis, dass viele US-Militärbasen in Reichweite ihrer Raketen lägen – und dass von den 30 Millionen Barrels aus der Opec-Förderung ganze 24 Millionen die enge Straße von Hormuz passieren müssten.

Indessen steigert sich die Wucht der psychologischen Kriegsführung: Der ehemalige Premier Benjamin Netanjahu will Ahmadinedschad wegen „Aufruf zum Massenmord an Israelis“ vor ein internationales Gericht stellen. Der britische Daily Telegraph berichtet – unter Berufung auf einen ungenannten europäischen Verteidigungsexperten –, Nordkorea solle Iran helfen, einen unterirdischen Atomwaffentest vorzubereiten. Pjöngjang soll Teheran alle Unterlagen über seinen Atomtest vom vergangenen Oktober zur Verfügung gestellt haben.

Aus dem Iran lässt Mohsen Resai, ehemals Befehlshaber der revolutionären Garden und heute Sekretär des Schlichtungsrats, verlauten, die Konfrontation zwischen Iran und den USA sei unvermeidlich. General Safavi, Kommandant der Pasdaran, erklärt, dass die Islamische Republik bei der Verteidigung der Heimat jede Invasion mit aller Macht zermalmen werde. Und Präsident Ahmadinedschad will das iranische Nuklearprogramm weiterführen. Die Hardliner in Iran wie im Westen schaukeln sich im bislang noch verbalen Gefecht allmählich hoch.

Traditionell steht das amerikanische Volk einmütig hinter einem Präsidenten, der einen Krieg führt. Doch diese Verbindung hat sich unter George W. Bush verflüchtigt. Ein ähnlicher Vorgang ist im Iran zu beobachten: Die Konservativen stehen nicht geschlossen hinter Ahmadinedschad. Sie spalten sich in drei große Strömungen: die traditionalistischen Konservativen, zu denen Expräsident Rafsandschani gehört; die Neofundamentalisten um Teherans Bürgermeister Qalibaf und die nationalistischen Fundamentalisten um Ahmadinedschad.

Freunde sind sie nicht: In Rafsandschani hat der Präsident einen unversöhnlichen Feind, seitdem er gegen ihn eine Antikorruptionskampagne lancierte. Auch der heutige Teheraner Bürgermeister Qalibaf und sein Amtsvorgänger Ahmadinedschad sind sich nicht grün. Und seitdem die Parteigänger des Präsidenten bei den jüngsten Wahlen zum Expertenrat wie auch bei den Kommunalwahlen Niederlage auf Niederlage einfuhren, ist das Charisma des Präsidenten dahin.

Immer häufiger stellen nicht nur Studenten die Frage, wie lange jemand, der das Ausland so gegen sich aufbringt, die Verantwortung für das Wohl und Wehe der Iraner haben sollte. Oder, wie der seit Jahren unter Hausarrest stehende Ajatollah Montaseri über die iranische Atompolitik sagt: „Sie reden jeden Tag von Rechten, die uns zustehen. Gut, aber wenn es unsere Rechte sind, muss man sie nehmen, ohne anderen Menschen damit Probleme zu machen.“

Auch die islamischen Nachbarländer, für die Ahmadinedschad stillschweigend eine Prokura anmeldete, fürchten Irans Ambitionen. Dessen Nuklearprogramm steht nämlich für Irans unbedingten Willen, die Nummer eins in der Region zu werden und in Wissenschaft und Technik zum Westen aufzuschließen. Viel wurde auch in die Nano- und Biotechnologie investiert, und vor zwei Monaten verkündete die Universität Isfahan, man hätte dort ein Kalb geklont. Es wurde „Royana“ genannt – der Name kommt vom persischen Wort „Roya“ (Traum) und verweist auf das antike Persische Weltreich und damit auf einstige Größe. Auf Augenhöhe mit dem Westen – das ist der Traum, der nach der nie überwundenen kolonialen Kränkung nun neue Nahrung erhält.

Im Iran wie im Westen schaukeln sich die Hardliner bislang nur im verbalen Gefecht allmählich hoch

In den Nachbarländern verfolgt man Irans nationalen Ehrgeiz mit Misstrauen. Dessen wachsender Einfluss in Irak verärgert die Sunniten – allen voran die Saudis, die die irakischen Sunniten finanziell und mit Waffenlieferungen gegen die Schiiten unterstützen wollen. US-Außenministerin Condoleezza Rice ist seit Wochen in der Region mit dem Versprechen unterwegs, dass die Bush-Administration Irans Vorhaben, zur größten Macht im Mittleren Osten aufzusteigen, vereiteln könne. Sieben arabische Regime wollen jetzt gemeinsam einen Aufruf lancieren, in dem Iran aufgefordert wird, sich nicht mehr in Irak einzumischen. Kayan reagiert auf dieses neue sunnitische Bündnis mit der vagen Hoffnung, dass die Völker Ägyptens, Jordaniens und Bahrains die Krise in der Region nutzen werden, um sich an ihren korrupten Regimen „zu rächen“.

In Ahmadinedschads Kraftmeiereien gegenüber Israel und den USA sehen immer mehr Iraner, aber auch andere islamische Länder, ein nicht mehr tolerierbares Risiko: Die Araber, weil sie um ihre innere Ordnung besorgt sind, die Iraner aus ganz unterschiedlichen Gründen. Die einen, weil Ahmadinedschads Politik das gesamte System der Islamischen Republik gefährden könnte; die anderen, weil die Wirtschaft aufgrund der UNO-Sanktionen nicht mehr so gut läuft; und die Dritten, weil die Fortschritte der Zivilgesellschaft in Krisenzeiten wieder rückgängig gemacht werden.

Jetzt warten alle auf ein Machtwort von Ajatollah Chamenei. Er ist der Einzige, der den Präsidenten in seine Schranken weisen kann. Der geistige Führer ist gleichzeitig der Kommandant aller Waffengattungen – also auch der Revolutionsgarden, mit denen der Präsident verbunden ist. Beschränkt Chamenei tatsächlich Ahmadinedschads Macht, bliebe immer noch die Frage, ob die Amerikaner es zulassen werden, dass die iranische Zivilgesellschaft ihren Kampf um Demokratie und Freiheit in die eigenen Hände nimmt. ELISABETH KIDERLEN