Das Geld kam von der Briefkastenfirma

Die Siemens-Sparte COM hat Mitarbeiter jahrelang über eine obskure Offshore-Firma in Gibraltar bezahlt. Der Konzern nennt das „übliche Personaldienstleistung“. Die Konstruktion weist jedoch Parallelen zum System der schwarzen Kassen auf

VON BERNHARD HÜBNER
UND MAX HÄGLER

Sie arbeiteten für Siemens-Projekte, saßen in Siemens-Büros und gehorchten Siemens-Managern. Nur das Geld, das sie verdienten, kam größtenteils nicht von Siemens. Sondern aus Gibraltar – von einer Firma namens Overseas Executive Services Ltd. (OES). Adresse: PO Box 567. Mindestens 50 Mitarbeiter wurden in den vergangenen Jahren auf diese Art bezahlt. Diese Zahl hat Konzernsprecher Peik von Bestenbostel bestätigt.

Zwar seien solche Offshore-Firmen nicht unüblich, bestätigten mehrere renommierte Steuerrechtler der taz. Aber die merkwürdigen Details im Falle Siemens weisen nach Meinung dieser Experten deutlich daraufhin, dass es um mehr geht, als um legale Steueroptimierung. Die Juristen vermuten Steuerhinterziehung oder eine Konstruktion zur Leerung schwarzer Konten.

Mindestens 35 Betroffene haben nach Informationen der taz in Nigeria für die Telekommunikationssparte COM gearbeitet. Heute wird vor dem Münchner Arbeitsgericht der Fall eines dieser Siemens-Mitarbeiter verhandelt, der wenig Geld vom Münchner Konzern und viel von OES erhalten hat. Nach Angaben des Konzernsprechers Bestenbostels seien diese Zahlungen nichts Ungewöhnliches, auch wenn Siemens die Zusammenarbeit mit OES Ende 2005 beendet habe. Bestenbostel: „Aus unserer Sicht ist OES eine Leiharbeitsfirma wie jede andere auch.“

Doch das bezweifeln deutsche Fahnder. Sie haben Ermittlungen aufgenommen und bereits Stellungnahmen von beteiligten Siemens-Mitarbeitern eingeholt. Ihr Verdacht: Schwarzarbeit. Denn: Leiharbeitsfirmen vermitteln Arbeitskräfte. Das hat die angebliche Leiharbeitsfirma OES aber nicht getan. Mehrere der Siemens-Mitarbeiter waren vor der Tätigkeit in Nigeria bereits jahrelang bei Siemens beschäftigt gewesen.

Für ihren neuen Job – den Ausbau des örtlichen Telefonnetzes – erhielten sie einen offiziellen Vertrag mit Siemens Ltd. Nigeria über 41.300 Naira – umgerechnet 250 Euro monatlich, abzüglich 50 Euro Einkommensteuer, wie der taz vorliegende Gehaltsabrechnungen dokumentieren. Zusätzlich unterschrieben die Mitarbeiter einen zweiten Vertrag – mit der Firma OES in Gibraltar.

„Zum Thema ‚Bezahlung‘ heißt es in einem dieser der taz vorliegenden Papiere ganz schlicht: „6.000 Euro – steuerfrei“. Für diese mit Siemens-Managern vereinbarten Geldströme haben die Mitarbeiter nie Gehaltsabrechnungen oder einen gegengezeichneten Vertrag bekommen.

OES ist im Besitz der Anwaltskanzlei Attias & Levy in Gibraltar. Auf ihrer Internetseite bewerben die Anwälte offen ihren Service, kleine Offshore-Firmen zu gründen und diskret zu verwalten. „Man benutzt solche Briefkastenfirmen, um Zahlungsströme und die Herkunft von Geld zu verschleiern“, bestätigt ein international tätiger Anwalt für Steueroptimierung der taz. Mittelsmann zwischen OES und Siemens war ein Brite, Inhaber einer Kleinfirma namens Regency Ressources.

Damit weist der Fall OES deutliche Parallelen zu anderen Firmenkonstruktionen auf, die Siemens nach aktuellen Ermittlungen benutzt hat, um Geld auf schwarze Konten zu transferieren. Ein im aktuellen Spiegel zitierter vertraulicher Bericht der Wirtschaftsprüfungsgesellschaft KPMG listet eine Reihe von selbstständigen Mittelsmännern und Minifirmen auf, die Siemens für „Beratungsleistungen“ bezahlt hat. So etwa die zypriotisch Firma IBF Business Services Ltd., die 29,4 Millionen Euro bekam. Betrieben wurde die Firma, wie auch OES, von einem honorigen örtlichen Dienstleister.