KIM TRAU POLITIK VON UNTEN
: Gegen die Ausschließlichkeit

Seit Januar kann eine Frau, rechtlich gesehen, auch einen Penis haben und ein Mann eine Vagina

Genitalien sind nicht länger entscheidend für das rechtliche Geschlecht einer Person – diesen bahnbrechenden Beschluss fasste das Bundesverfassungsgericht am 11. Januar. Somit sind geschlechtsangleichende Operationen keine Bedingung mehr für eine Änderung der rechtlichen Geschlechtszugehörigkeit. Eine solche Bedingung kollidiert nach Ansicht des Gerichts mit dem Grundrecht auf körperliche Unversehrtheit. Das Gericht stellte jedoch auch klar, dass die Legislative das Recht hat, Nachweise der „Stabilität und Irreversibilität des Empfindens und Lebens von Transsexuellen im anderen Geschlecht“ zu verlangen.

Diese Nachweise erbringen Transsexuelle im derzeitigen Verfahren mittels psychologischer Gutachten. Darin soll attestiert sein, dass die betreffende Person seit drei Jahren unter dem Zwang steht, im anderen als ihrem rechtlichen Geschlecht zu leben und sich dies mit hoher Wahrscheinlichkeit nicht mehr ändern wird.

Was so trocken daherkommt, ist eine kleine Revolution. Der Sieg der Psyche über die Genitalien, der Psycholog_innen über die Chirurg_innen und derjenigen, die ihren Körper nicht als Hinweis auf ihr Geschlecht betrachten, über die, die sich jenseits der Zweigeschlechtlichkeit nichts vorstellen können.

Viele meiner Freunde freuen sich über diesen Beschluss. Sie sehen darin eine Abkehr vom OP-Zwang, einem Relikt aus einer Zeit rigider Geschlechternormen oder gar einem Instrument eugenischer Bevölkerungspolitik, um die „Ausbreitung und Vermehrung“ von Transsexualität zu verhindern.

Ich kenne allerdings auch Leute, die den Beschluss kritisieren. Sie weisen darauf hin, dass es doch gerade das Unbehagen mit den angeborenen Genitalien sei, was Transsexualität ausmache, und der Wunsch, eine Operation anzustreben, ebenfalls nicht wegzudenken sei. Für sie sind diejenigen, die ohne Operation eine Änderung ihres Geschlechtseintrags wünschen, Trittbrettfahrer, die das Transsexuellengesetz für ihre Zwecke nutzen. Sie fürchten, dass nun, wo zumindest rechtlich auch Frauen mit Penis und Männer mit Vagina möglich sind, Krankenkassen die Kostenübernahme einer Operation erschweren oder verweigern könnten.

Diese Angst kann ich angesichts horrender Staatsschulden und sozialer Einschnitte verstehen, auch wenn ich sie nicht teile, denn die Kostenübernahme ist an einen gutachterlich bestätigten Leidensdruck geknüpft und unabhängig vom Verfahren um das juristische Geschlecht. Zudem verschleiern diese Einwände auch den Konflikt, um den es wirklich geht: Essenzialistisch Denkenden ist jedes Verwischen von geschlechtlicher Eindeutigkeit ein Gräuel. Sie glauben, dass uns entweder Weiblichkeit oder Männlichkeit innewohnt. Alles dazwischen ist eine Ausnahme von der Regel und keinen weiteren Gedanken wert. Ob das Geschlecht nun in der Psyche oder im Körper zu Hause sei, darüber ließe sich streiten, aber es sei da, irgendwo.

Für jene aber, die zwischen Mann und Frau noch weitere geschlechtsbezogene Daseinsformen zulassen und denken können, ist dieser Beschluss ein Schritt hin zu einer Welt ohne beengende Bilder von Geschlechtlichkeit, ohne Festlegungen auf „weiblich“ oder „männlich“, ohne Ausschließlichkeit.

Die Autorin ist Studentin und leitet eine Trans*-Jugendgruppe in Berlin Foto: privat