Libyens blutiger Freitag

KAMPF Sicherheitskräfte und Getreue von Gaddafi versuchen mit äußerster Brutalität, an der Macht festzuhalten

„Plan A ist es, in Libyen zu leben und zu sterben, Plan B ist es, in Libyen zu leben und zu sterben, Plan C ist es, in Libyen zu leben und zu sterben“

SAIF AL-ISLAM

TRIPOLIS ap/reuters/dpa | Regimetreue Milizen haben am Freitag mit Schüssen in die Menge versucht, die erste große Oppositionskundgebung in der libyschen Hauptstadt Tripolis aufzulösen. Ein Augenzeuge berichtete der Nachrichtenagentur AP, er habe Tote und Verwundete in den Straßen liegen sehen. In anderen Städten protestierten zehntausende Libyer gegen Staatschef Muammar al-Gaddafi.

Nach dem Freitagsgebet strömten Demonstranten aus einer Moschee im Zentrum der Hauptstadt und versuchten, den Grünen Platz zu erreichen, wie ein Augenzeuge sagte. Milizionäre hätten zunächst Warnschüsse in die Luft abgefeuert, um sie daran zu hindern. Viele Demonstranten hätten die Flucht ergriffen. „Die Lage ist in Teilen von Tripolis chaotisch“, sagte er. Auch andere Bewohner der Hauptstadt meldeten Gewehrfeuer aus mehreren Vierteln.

Einwohner von Tripolis hatten zuvor berichtet, die Opposition habe per SMS zu Demonstrationen gegen Staatschef Muammar al-Gaddafi aufgerufen. In den SMS-Botschaften heiße es: „Lasst uns diesen Freitag zum Freitag der Befreiung machen.“ Im westlichen Bezirk Jansur sollen laut Reuters am Freitag fünf Protestierende erschossen worden sein.

Gaddafis Sohn Saif al-Islam betonte unterdessen in einem Interview mit dem Sender CNN Turk nachdrücklich, die Herrscherfamilie werde in Libyen „leben und sterben“. Gefragt nach Alternativen, sagte er: „Plan A ist es, in Libyen zu leben und zu sterben, Plan B ist es, in Libyen zu leben und zu sterben, Plan C ist es, in Libyen zu leben und zu sterben.“ Gaddafi werde es niemals zulassen, dass „eine Bande von Terroristen“ an die Macht kommt.

Gaddafis Truppen haben die Kontrolle über den Osten Libyens weitgehend verloren, halten bisher aber Tripolis und Umgebung mit äußerster Härte. Am Donnerstag wurden in zwei Städten nahe der Hauptstadt mindestens 17 Demonstranten erschossen.

Gaddafis Sicherheitskräfte versuchten die Kontrolle in Sawija, rund 50 Kilometer westlich von Tripolis, zurückzugewinnen. Sie sollen jedoch von oppositionellen Kräften zurückgedrängt worden sein, sagten Zeugen laut Reuters. Zeugen berichten auch von Leichen und Kriegszuständen in der Gegend.

In Bengasi, wo die von Gaddafi befehligten Truppen nicht mehr präsent sind, versammelten sich Hunderttausende, um gegen das Regime zu demonstrieren. In der Stadt sollen während der Unruhen der vergangenen Tage etwa 500 Menschen getötet worden sein.

Der Sicherheitschef von Bengasi, Nuri al-Obeidi, berichtete von einem unterirdischen Gefangenenlager. Die Gefangenen seien in einem früheren Stützpunkt einer vom Gaddafi-Sohn Chamies befehligten Militäreinheit entdeckt worden. Unter den 90 Befreiten seien auch Deserteure gewesen, die sich geweigert hätten, auf Regimegegner zu schießen.

Ein Polizist in der nordostlibyschen Stadt al-Baidha sagte der dpa, dass Aufständische dort 200 Söldner getötet hätten. Den ausländischen Soldaten seien vom Gaddafi-Regime 12.000 Dollar für jeden getöteten Demonstranten versprochen worden.

Das libysche Außenministerium veröffentlichte in der Nacht einen Aufruf an die „fünf Supermächte“. Darin hieß es, diese sollten sich selbst davon überzeugen, dass die libysche Armee nur Waffendepots in der Wüste bombardiert habe und keine zivilen Ziele.