Der Wahlkampf hört nicht auf

Die Demokraten wollen mit ihrer Agenda so schnell wie möglich in die Offensive kommen. Das könnte mehr als von Präsident George W. Bush durch die eigene, bunte Zusammensetzung erschwert werden

WASHINGTON taz ■ New-York-Times-Kolumnist Thomas Friedman schrieb einmal, das gesamte politische Spektrum Europas hätte Platz in der Demokratischen Partei der USA. Friedman wollte damit sagen, welch Unikum die evangelikal-konservativ gewendeten Republikaner innerhalb der westlichen Demokratien darstellen. Doch seine Beschreibung taugt auch, um die Zusammensetzung der neuen Mehrheitsfraktionen der Demokraten im Haus und im Senat zu begreifen. Sie sind tatsächlich so zusammengesetzt, wie es in Deutschland eine Fraktion aus SPD, CDU, FDP, Grünen und PDS gemeinsam wäre. Ist so etwas politikfähig?

Vielleicht schon. Denn Newcomer beider Parteien müssen sich im Kongress – wie in den meisten Parlamenten der Welt – erst einmal ihre Sporen verdienen. Im Senat etwa hat jeder Neue zunächst den „Junior“-Status und muss sich tunlichst an den Älteren orientieren – selbst Hillary Clinton erfuhr das anfangs. Die Ämter aber, insbesondere die mächtigen Ausschussvorsitze, gehen an die „Seniors“, diejenigen also, die oftmals schon in der dritten oder vierten Amtszeit dem Senat angehören, also mindestens ein Dutzend Jahre Washington hinter sich haben. Sie haben Kontakte, Seilschaften, Verbindungen auch über die Parteigrenzen hinweg und bauen ihre Macht beständig aus.

Wichtigstes Instrument ist das Geld. Die Kompetenz, Mittel zu bewilligen oder zu verweigern, ist ohnehin das wichtigste Pfund des Kongresses gegenüber der Exekutive; auch die Vetomöglichkeiten des Präsidenten finden an dieser Stelle ihre Grenzen. Aber auch für die interne Machtverteilung innerhalb der Mehrheitsfraktion ist das Geld entscheidend: Wer für seinen Bundesstaat etwas herausschlagen will, was er bei den nächsten Wahlen seinen Wählern als Erfolg präsentieren kann, muss sich mit den Mitgliedern und insbesondere den Vorsitzenden der entsprechenden Ausschüsse gut stellen.

Die jeweilige Mehrheitspartei übernimmt alle Ausschussvorsitze, deren Einfluss schon damit beginnt zu bestimmen, was überhaupt verhandelt wird und was in den Aktenstapeln auf Dauer nach ganz unten verschwindet. In beiden Kammern des Kongresses werden nun Demokraten den Ausschüssen vorsitzen – und im Vergleich zur Gesamtzusammensetzung des Repräsentantenhauses mit all seinen neuen sozialkonservativen Mitgliedern sind die Seniors, die für die Ausschussvorsitze im Haus in Frage kommen, ausgesprochen liberal. Gemeinsam mit der neuen Sprecherin Nancy Pelosi werden sie sich darum bemühen, Kernaspekte der demokratischen Agenda „A new direction for America“ umzusetzen.

Die Demokraten wissen, dass sie möglichst schnell in die Offensive kommen müssen. Sie werden eine Mischung von Initiativen anstreben: Manche, wie eine Erhöhung des Mindestlohns, werden sie vermutlich mit zumindest einigen Republikanern gemeinsam angehen können. Andere, wie eine Einigung bei der Reform der Migrationsgesetze und dem Umgang mit den im Land befindlichen Migranten ohne gültige Papiere, können sie mit Präsident Bush verwirklichen. Und wieder andere, wie die Rücknahme der Steuergeschenke für die Reichen, dürften spätestens am Veto des Präsidenten scheitern. Das allerdings werden sie in den kommenden zwei Jahren auch herausfordern müssen – wie sähe es schließlich aus, wenn sich ein demokratischer Kongress ausgerechnet mit Bush immer einig wäre? Der Wahlkampf ist vorbei – aber er hört nie auf. BERND PICKERT