„Nicht jeder trägt spitze Eckzähne“

An diesem Wochenende treffen sich Vampirfreunde zu einem Symposium in Berlin. Die Journalistin Britta Radkowsky hat über Menschen geforscht, die sich für Vampire halten

taz: Frau Radkowsky, Sie sind Vampirismus-Expertin. Gibt es wirklich Menschen, die sich für Vampire halten?

Britta Radkowsky: Ja. Es sind nicht viele, aber es gibt doch den ein oder anderen, der behauptet, im Wortsinn Vampir zu sein.

Was heißt das? Welche Eigenschaften hat so jemand?

Das ist ganz unterschiedlich, die Figur des Vampirs kann ja jeder interpretieren, wie er will. Gemeinsam ist den Leuten, dass sie eine Affinität zur Nacht, zur Dunkelheit haben. Und dass sie sich oft bombastisch ausstaffieren.

Wie sieht so ein Vampir aus?

Viele kleiden sich wie die Filmfiguren, schwarz und festlich, teilweise auch im Rokokostil. Die Männer bevorzugen etwa lange Mäntel und Rüschenhemden.

Setzen sie sich Zähne ein?

Nicht jeder in der Szene trägt Eckzähne. Da fühlt man sich doch zu verkleidet. Wer sich als Vampir zu erkennen gibt, will ernst genommen werden und nicht als Karnevalsgag erscheinen.

Wird auch Blut getrunken?

Das gibt es, aber es findet großteils hinter verschlossenen Türen statt. Natürlich ist niemand Vampir in dem Sinne, dass er aus dem Grab auferstanden ist und nachts den Lebenden das Blut aussaugt. Ich kenne jedenfalls keinen, der Blut aussaugt.

Das wäre auch bedenklich. Warum glauben Leute ausgerechnet, sie seien Vampire?

Das hat etwas mit der Inszenierung von Einsamkeit zu tun. Es geht dabei um das eigene Ich. Sie drücken damit aus: Ich stehe auf einer dunkleren Seite der Welt als andere. Es hat mit Herzschmerz zu tun und mit Melancholie.

Sie geben sich selbst dadurch eine Identität.

Ja klar. Alle definieren sich über irgendetwas. Manche Leute kaufen sich einen Golf und finden das prima, andere kaufen eben einen langen schwarzen Mantel.

Welche Rolle spielt das Thema Tod?

Eine große Rolle. Die Sehnsucht nach Unsterblichkeit ist schon sehr verbreitet.

Halten sich die Betroffenen für untot?

Also mir ist noch niemand begegnet, der behauptet hat, er sei ein wiederauferstandener Toter. Es geht eigentlich eher um die Angst zu altern. Man will jung bleiben. Die Figur des Vampirs ist ein Ausdruck dieses Wunsches.

Wie groß ist die Szene in Deutschland?

Sie war schon mal größer. Im Moment sind es vielleicht hundert Leute, die sich als Vampire fühlen. Eigentlich ist das ein US-amerikanisches Phänomen. In den Staaten gibt es den „Temple of the Vampire“, eine rechtlich anerkannte Kirche, in der man Vampire anbetet. In Deutschland hat das weniger mit Religion zu tun, mehr mit Selbstfindung, und ist viel weniger verbreitet.

Gibt es feste Gruppen auch in Deutschland?

Vor einigen Jahren haben sich diverse Vampirvereinigungen gegründet. Diese Leute haben sich im Internet kennen gelernt und festgestellt, dass sie sich ähnlich sind. Einige haben es dann geschafft, sich zu vampirischen Kaffeekränzchen zu verabreden.

Was macht man bei so einem Kaffeekränzchen?

Die Leute treffen sich einfach in einer Kneipe. Es gibt aber auch einen vampirischen Salon, mal in einem Schloss, mal in einer Industrieruine. Da wird dann immer ein Vampirthema diskutiert. Manche haben sich zeitweilig auch in Parks verabredet.

Gibt es das auch in Berlin?

In Berlin kenne ich nur Rollenspieler. Die bilden sich zwar nicht ein, Vampire zu sein, aber sie räumen dem Rollenspiel auch einen hohen Stellenwert ein. Das ist auch gelebter Vampirismus.

Sie sagen, dass es heute weniger Vampiranhänger gibt als noch vor fünf Jahren. Warum?

Es gab lange keine großen Filme, die zur Identifikation einladen wie zum Beispiel „Interview mit einem Vampir“. Der Vampir war darin eine einsame Figur, die an ihrer Natur krankt. Da haben sich viele wiedererkannt. Das ist nun aber schon zehn Jahre her.

Haben Sie selbst Geschmack an der Sache gefunden?

Ja, ich war schon in der Szene. Da ich das Thema durch mein Buch von Anfang bis Ende erschlossen habe, ist die Faszination aber erloschen. Das Rätsel ist gelöst. Ich habe verstanden, dass der Vampir ein Instrument ist, um sich selbst zu definieren. Und in der Welt seinen Platz zu suchen.

INTERVIEW: A. LANG-LENDORFF

Heute findet im Umspannwerk Kreuzberg das Symposium „Die Sehnsucht nach Unsterblichkeit“ statt. Nach den Vorträgen laden die Veranstalter zum „Blutbad“ im beheizten Pool. Ohlauer Straße 43, 10–20 Uhr, Eintritt 12/10 €