Der Charme von Düsentriebwerken

Vom Sinustonpfeifen bis zum Weißen Rauschen: Als „Merzbow“ macht der Japaner Masami Akita Noise-Musik. Im Sprengel-Museum Hannover, wird Masami zum 120. Geburtstag des Dadaisten Kurt Schwitters seine Geräuschkollagen präsentieren

Bekannt geworden ist der Dadaist Kurt Schwitters vor allem als Dichter der unsterblichen Verse: „Fümms bö wö tää zää Uu, pögiff, kwii Ee.“ Aber der vielseitig begabte Autor der „Ursonate“ war ebenso Maler und Bildhauer. So verwandelte er etwa sein Atelier in eine begehbare Raumskulptur namens „Merzbau“. Rund um eine quasi-phallische „Merzsäule“ arrangierte er dabei Fundsachen und Erinnerungsstücke auf Holzgerüsten und in kleinen Grotten, bis das wuchernde Müllgebilde schließlich die Grenzen des Ateliers gesprengt und selbst das Spielzimmer seines kleinen Sohnes okkupiert hatte.

Im Sprengel-Museum Hannover, wo eine Rekonstruktion des „Merzbau“ steht, hat man sich zum 120. Geburtstag des großen Sohnes der Stadt nun eine besondere Hommage einfallen lassen. Masami Akita, den Fans japanischer Noise-Musik besser bekannt unter dem Namen „Merzbow“, wird Schwitters zu Ehren seine Geräuschkollagen präsentieren.

Seit Anfang der 80er Jahre arbeitet der ehemalige Kunststudent „Merzbow“ an seinem eigenen akustischen Merzbau. Inspiriert von den verzerrten Gitarrenklängen eines Jimi Hendrix und den elektroakustischen Experimenten eines Karlheinz Stockhausen oder Iannis Xenakis mixt „Merzbow“ im Schlafzimmer seines Tokioter Domizils Tonträger mit dem musikalischen Charme von Düsentriebwerken. Ursprünglich waren aufgezeichnete Alltagsgeräusche oder Billig-Elektronik dabei sein Rohmaterial. „So wie Schwitters aus von der Straße aufgelesenen Dingen Kunst gemacht hat, so mache ich Klänge aus dem Schrott, der mich umgibt“, lautete einstmals sein Credo. Doch inzwischen kommt selbst bei „Merzbow“ vom Sinustonpfeifen bis zum Weißen Rauschen alles von der Festplatte.

Und wie bei Schwitters wächst auch Masamis „Merzbow“ ins Unermessliche. Seit mehr als 20 Jahren produziert er im Schnitt ein Album pro Monat. Dank des besonderen Artwork ist jedes von ihnen einzigartig. In früheren Jahren bewies Masami dabei eine besondere Obsession fürs Pornografische und vertrieb seine in Schmuddel-Bilder verpackten Fetisch-Objekte unter dem Namen „Pornoise“ – in jüngster Zeit sind allerdings Vogelkunde und Walfangverbot in den Mittelpunkt von „Merzbows“ Interesse gerückt.

Ungebrochen ist jedoch seine Leidenschaft für das reine Geräusch als eine extreme, physische Erfahrung. Obwohl Masami eher der intellektuelle Typ ist und mittlerweile 13 Bücher unter anderem über postmoderne Architektur, Tierschutz oder die Geschichte der japanischen Pornografie veröffentlicht hat, bekennt er sich als Musiker doch zu einem militanten Sensualismus. „Ich würde gern das viel zu laute Japan unter meinem Lärm begraben. Ich will Stille schaffen mit meinem Lärm.“ In der entsprechenden Dosierung wirkt „Merzbow“ jedenfalls wie ein direkter Weg ins Nirwana.

Ilja Stephan

Termin: Samstag, 3.2.2007, 21 Uhr, Sprengel-Museum Hannover