Die Straße übertönen

ROOTS-TECHNO In ihrer Heimat Kinshasa verdient die kongolesische Band Konono No 1 ihr Geld mit Konzerten auf Hochzeiten und Beerdigungen. Trotzdem war das Berghain genau der richtige Ort für ihr Debüt in Berlin

Hier scheitern alle Mitsingstrukturen, die Songstrecken sind vielschichtig ineinander verschoben

VON EMILY THOMEY

Strenge Minusgrade herrschen hinterm Ostbahnhof am Freitagabend, und trotzdem bildet sich schon um kurz vor neun vor dem Berghain eine Schlange. Wer hier ansteht, will weder in der Panorama Bar das Wochenende durchtanzen noch sich in den wummernden Bassboxen eine Etage tiefer verlieren. Auf dem Konzertplakat von Konono No 1 ist ein traditionelles, afrikanisches Daumenklavier zu sehen, die Likembe: Auf einem Holzbrett sind Metallstäbe unterschiedlicher Größe montiert, die mit dem Daumen gezupft werden.

Das besondere an den Likembes der kongolesischen Band sind aber die winzigen Pick-ups, die unter die Metallstäbe montiert sind. Pick-ups dieser Art kennt man sonst von E-Gitarren. Augustin Mawango, Gründervater von Konono No 1, hatte in den 60er Jahren die Idee mit der elektronischen Verstärkung. Es ging der Band einzig darum, den Straßenlärm der Hauptstadt Kinshasa zu übertönen.

Genau dieser bratzige, zerrende und doch ganz warme Sound ist das Herz der elektronischen Variante der Bazombo-Musik von Konono No 1. Ihre Musik wird improvisiert mit Radkappen, die als Schlagzeugbecken dienen, aus Autobatterien gebauten Mikros, Lautsprechern und Megafonen. Auf der Bühne im Berghain zeugen von diesem Erfindergeist die Radkappen-Becken und ein zur Dekoration aufgestelltes Megafon. Konono No 1 ist mit sechs Musikern nur in kleiner Besetzung auf Tour. Aber das tut der Energie ihres Sounds keinen Abbruch.

Es brazt, fiept und scheppert. Keine Bassdrum, kein 4/4-Takt. Stattdessen stolpern synkopische, rituelle Trancerhythmen durch die ausverkaufte Halle. Bis unter die Decke und in die hinterste Ecke füllt sich das ehemalige Heizkraftwerk mit einer warmen, betörenden Klangwolke. Stetig angetrieben von der Rhythmussektion mit Congas, Kuhglocken und Snaredrum, während drei Likembes darüber und darunter tänzeln. Hier scheitern alle Mitsingstrukturen oder Liedanker, stattdessen sind die Songstrecken ganz vielschichtig ineinander verschoben. Darin droht sich auch der geübteste Tänzer zu verheddern.

Nicht so auf der Bühne: In traditionell afrikanische Tücher gehüllt, tanzt und singt Luti Misamu, die Sängerin und Perkussionistin, ganz lässig und unter großem Jubel des Publikums. Während ihre Bandkollegen sich verhaltener bewegen. Dafür feuern die Musiker mehr an: „Bougez, bougez“ – bewegt euch! Bis doch fast alle Zuschauer tanzen.

Der erste Song des Abends ist gleichzeitig auch einer der größten Hits der Kongolesen „Lufuala Ndonga“. Dass die Musik über 20 Jahre alt ist, macht nichts, denn in unseren Breitengraden ist Konono No 1 erst seit knapp fünf Jahren zu hören. Der belgische Produzent Vincent Kenis hat sie entdeckt und ihre langen sessionähnlichen Tracks auf eine CD-taugliche Länge von fünf bis zehn Minuten gebracht. Trotz des Erfolgs bleibt die Haupteinnahmequelle von Konono No 1, weiterhin im Kongo auf Hochzeiten und Beerdigungen zu spielen. Die Musik hat – vielleicht auch deswegen – eine andere, schwer greifbare Zeitlosigkeit. Eine spirituelle Dimension, gepaart mit dem dreckigen Verstärkersound, macht die Spannung dieses Roots-Techno aus.

Im Berghain ist am Freitag viel Technoprominenz zu sehen, Produzenten, wie Henrik Schwarz und Stefan Goldmann, zahlreiche Musikjournalisten, aber auch Berlintouristen. Gefehlt hat jedoch die afrikanische Community – vielleicht war das mythenumrankte Berghain dann doch zu abschreckend.

Eingeleitet wird der Abend vom Kölner DJ Burnt Friedmann, hinterher legen der Berliner Mark Ernestus und der Londoner Dubstep-Produzent Shackleton auf. Eine gute Wahl für das Begleitprogramm, denn alle drei kennen sich bestens mit der traditionell-modernen Musik aus dem Kongo aus. Haben sie doch gerade noch bei dem Sampler „Tradi-Mods vs. Rockers“ mitgewirkt. Hier treffen westliche Elektroproduzenten auf Konono No 1 und ihre kongolesischen Kollegen wie die Kasai Allstars, die nach ähnlicher Rezeptur werkeln.

Ein tiefer Trancezustand hat sich trotz Lautstärke und hämmernder Rhythmen also nicht eingestellt. Vielleicht muss dafür einfach noch viel mehr Roots-Techno in den Clubs der Hauptstadt aufgelegt werden.