Vieles krankt am Unterricht

■ Jahnschule in Eimsbüttel entwickelt Konzepte für eine gesündere Schule / Europaweites Netzwerk geplant Von Patricia Faller

Der Lehrer als Moderator, das Klassenzimmer als Werkstatt und eine flexiblere Pausengestaltung – Ideen, mit denen die SchülerInnen der Jahnschule für „gesündere“ Lehranstalten sorgen wollen. Die Eimsbüttler Gesamtschule ist eine von 16 deutschen Schulen – darunter auch das Gymnasium in Hamm – die sich am europaweiten „Netzwerk für gesundheitsfördernde Schulen“ beteiligen.

Ziel des von Weltgesundheitsorganisation und Europäischer Union initiierten Projekts: Innerhalb von drei Jahren Konzepte zu erarbeiten, die dauerhaft in den Schulalltag integriert werden. Schulen in ganz Europa sollen dazu ein Netzwerk bilden; die EimsbüttlerInnen zum Beispiel pflegen einen regen Ideenaustausch mit einer dänischen Schule.

Einfach mal von einer ganz anderen Schule zu träumen, sich von den gegebenen Strukturen zu lösen, das war nicht immer leicht, beschreiben die Jahn-SchülerInnen ihre Erfahrungen mit der Projektarbeit, die im Februar 1994 begonnen hat. Weil Themen wie Drogenprävention oder gesunde Ernährung bereits zu den Unterrichtsinhalten gehören, entschloß sich die Jahnschule, den Gesundheitsbegriff etwas weiter zu fassen: Weniger Streß – die Schule als Ort, an dem sich alle wohlfühlen. Nicht nur SchülerInnen wurden deshalb zu ihren Wünschen befragt, sondern auch der Lehrkörper, Hausmeister, Sekretärinnen, Putzfrauen und Schulleitung.

„Frontalunterricht“ und „die vielen Klassenarbeiten vor den Ferien“, nennt die 15jährige Tina Hartmann als Beispiel für den Schülerstreß. Sie gehörte einer Projektgruppe von 25 SchülerInnen aller Jahrgangsstufen an, die sich im vergangenen Jahr drei Tage lang in der Jugendherberge in Geesthacht mit Schule und Gesundheit auseinandersetzten. Sieben bis acht Stunden täglich tauschten die Großen und die Kleinen ihre Erfahrungen aus, verglichen Probleme, Hoffnungen und Lösungsvorschläge.

„Wie gut und selbstorganisiert Schüler doch sein können, wenn man sie nur läßt“, begeistert sich Jahnschul-Lehrerin und Projektleiterin Angela Nitschkowski. Die Forderung nach mehr Mitgestaltung und Mitverantwortung im Schulalltag zog sich denn auch als roter Faden durch die Projektarbeit. Die Jahnschule hatte dafür „Kontraste – Verein für folgenreiche Fortbildung“ als Moderator engagiert. Dessen Modell: „Kritikphase“, „Utopiephase“ und „Umsetzungsphase“ bildete die Arbeitsgrundlage.

Vieles krankt am Unterricht, stellten die SchülerInnen bald fest und entwickelten Verbesserungsvorschläge. LehrerInnen sollten Lerntechniken vermitteln, mit denen die SchülerInnen sich selbst etwas erarbeiten können. Der Unterricht sollte lebensnaher sein und Experten einbeziehen. „Wenn beispielsweise einer Lust hat, tapezieren zu lernen, dann sollte er sich andere Schüler suchen, die das auch wollen, und der Lehrer sollte einen Fachmann dazu organisieren“, erläutert Tina Hartmann die Idee. Noten sollten durch ausführliche Kommentare transparenter, Hausaufgaben durch freiwillige Übungen ersetzt werden.

Doch Utopien entwickeln ist die eine Sache, sie dann umzusetzen die andere. Ernüchterung machte sich breit, als es um die Verwirklichung ging. „Noten und Prüfungen können nun mal nicht abgeschafft werden, wenn alle anderen Schulen daran festhalten“, sagt die 15jährige. Auch wollten längst nicht alle SchülerInnen und LehrerInnen mehr Demokratie und Mitbestimmung im Unterricht, wie eine spätere Fragebogenaktion zeigte. „Wenn alles freiwillig ist, dann gehe ich da nicht mehr hin“, beschreibt Tina Hartmann eine vor allem unter den Jüngeren verbreitete Haltung. Es ist halt bequemer, Unterricht zu konsumieren oder, aus Sicht der Lehrer, Unterricht nach eigenem Gusto zu gestalten.

„Da müssen beide Seiten noch viel lernen“, ist das Fazit von Angela Nitschkowski, die damit schon angefangen hat. „Ganz erfüllt von den positiven Erlebnissen mit der Schülerprojektgruppe“ hat sie ihre Politicklasse gefragt, wo sie Schwerpunkte setzen und welche Themen sie zusätzlich einbringen wolle. Und siehe da, die ansonsten „undisziplinierten und desinteressierten“ SchülerInnen „sprühten plötzlich vor Ideen und Diskussionsfreude“.

Dafür, daß der Lernprozeß an der Schule mit ihren rund 1200 Schülern und 130 Lehrern nicht im Sande verläuft, soll ein „Pädagogisches Forum“ sorgen, an dem sich vom Schulleiter bis zum Hausmeister alle beteiligen. Konkrete Projekte, die vom Schülerrat bereits beschlossen wurden, werden jetzt in Angriff genommen: Hausaufgaben sollen begrenzt, die Pausen anders gestaltet und die Schule und der Pausenhof schöner und grüner werden.