Traurige Heimkehr

■ Ein Porträt des Hamburger Schriftstellers Gerd Fuchs

Nicht, weil Cismar so schön ist, bin ich durch die ostholsteinische Landschaft gereist. Das Straßendorf hat eh schon lange sein Gesicht verloren, wie alle Dörfer im Sommertourismus. Auch nicht wegen seines mittelalterlichen Klosters, einer Museumsinsel. Sondern um Gerd Fuchs zu treffen, der jetzt in diesem Kloster lebt.

Der Schriftsteller genießt das Stipendium der Landesregierung: ein halbes Jahr freie Logis im Brunnenhaus und ein kleines Salär. Luf- tig ist sein Appartement mit Küchenzeile und einigen Fichtenmöbeln; eine Sonnenblume steckt in der Bismarck-Flasche. Hier erholt er sich von der Arbeit an seinem letzten Roman Schußfahrt. Volles dunkles Haar, weißes T-Shirt, Jeans – Fuchs wirkt jünger als sein Jahrgang 1932. Er trägt eine randlose Brille, zwischen den weitstehenden Augen ist eine Sorgenfalte; um den sensiblen Mund spielt ein vielgestaltiges Lächeln.

Acht Erzählungen und Romane hat Fuchs in den vergangenen 30 Jahren veröffentlicht. Sie alle stellen den Leser unverzüglich in medias res. Lapidar umreißen die Anfänge die gesamte Geschichte, wie eine Nachricht. Deshalb sei auch nicht die Handlung das eigentlich Spannende, so Fuchs, sondern die innere Entwicklung der Figuren. Zur Überprüfung greift er Katharinas Nacht aus dem Regal, nimmt einen langen Zug von seiner Zigarette und liest mit heiserer Stimme die erste Seite seines Romans. „Da ist alles gesagt, doch noch mehr rätselhaft.“ Die Replik auf diese Anfänge sind die Schlüsse, die dem Leser nichts erklären. „Das hat für mich die Funktion eines epischen Abgesangs.“

Zwischen diesen Punkten spannt Gerd Fuchs den Bogen seiner Ge- schichten. Er ist ein Erzähler, in angelsächsischer Tradition, der aus dem Tatsächlichen schöpft. In seinem Opus maximum, dem historische Roman Schinderhannes von 1986, führt er gleich drei authentische Personen zusammen, neben dem linksrheinischen Robin Hood dessen Jäger und Richter. Die geben den verbindlichen Rahmen, das „Panorama, in dem man phantasieren kann“.

Dabei sei es im Grunde beflügelnd, wenn man nicht zuviel wisse. Aber nicht nur, weil das kurze Leben des Schinderhannes so überreich dokumentiert ist, führte Fuchs weitere Figuren ein. Seine Kunst ist die Entdeckung menschlicher Beziehungsgeflechte. „Ich krieg' keine Helden hin“, attestiert sich Fuchs. „Das werden immer Figurenmosaiken.“

Heimkehren ist das Thema in allen Büchern Fuchs'. Die Menschen kehren zurück aus dem Ersten Weltkrieg, aus dem Zweiten oder aus den Wirrnissen einer nachkriegsdeutschen Lebensodyssee. Immer finden sie eine kaputte Welt vor.

„Ich glaube, kein Autor entfernt sich weit von seiner Kindheit, von seinen entscheidenden Prägungen.“ War es Novalis, von dem der Satz stammt: „Wohin gehen wir? – Immer nach Hause.“

Dieses Ur-Zuhause ist für Gerd Fuchs der Hunsrück, wo er vor 63 Jahren geboren wurde. Von dort floh er nach Köln, studierte Ger- manistik und Anglistik. Über ein Außenlektorat kam er nach Ham- burg, war zeitweilig Feuilletonredakteur der Welt, später des Spiegel, dann Mitglied der Autoren-Edition. In Hamburg gelang Fuchs endlich die erste größere literarische Arbeit, Landru (1966), die Geschichte um einen französischen Frauenmörder. In Hamburg lebt er noch heute. Doch in seinen Büchern reist er immer wieder in den Hunsrück.

Dabei ist der Ort seiner Jugend lange zum Kunstdorf geworden, in Wirklichkeit und auch in der Vorstellung des Autors. Aber noch sein jüngster Roman Schußfahrt erzählt die rasante Geschichte zweier Brüder im Gravitationbereich dieser Hinterwelt. Viel eigenes Leben ist in den humorvollen, ernsten Roman geflossen. Aber auch viel Nachkriegsdeutschland. Oft sei er gefragt worden, warum diese Zeit und besonders ihre Vorgeschichte bei ihm eine so große Rolle spielt. „Zehn Millionen Männer waren ausgezogen, haben Europa verwüstet; die, die zurückkamen, banden sich Krawatten um und sagten ,War was?–“ Das war das Klima in den 50er und 60er Jahren, Fuchs' eigene Grunderfahrung. Das Schlimmste war für ihn die Einsicht, daß Zivilisation und Gewalt keinen Gegensatz bilden – ja, äußerste Gewalt wachse regelmäßig aus der Kultur hervor.

Eine Ente quakt hähmisch. Durch das offene Fenster dringt das kühlende Rauschen großer deutscher Stieleichen. Fuchs schreibt keine moralisierende Literatur. Er will nicht verurteilen, sondern von Menschen erzählen und der wissenschaftlichen Rationalisierung ihrer Eigenschaften eine umfassendere Sicht entgegenhalten. Die Utopie von einem weiteren Menschenbegriff bewahren. „Da ist ein altmodischer Humanismus in mir.“

Wenn auch in seinen Geschichten nicht alle Handlungsstränge immer zum Ziel kommen: Seine Figuren leben. Und wie er laut über sie nachdenkt und sich wundert über seine Geschöpfe – ihre Spontanei- tät verblüfft auch den Autor immer wieder von Neuem.

Daß der Leser einmal dieses Leben, dieses Vergehen von Zeit spüren werde, ist für Fuchs das eigentlich Faszinierende am Romanschreiben. Umständlich stopft er sich eine Pfeife, denkt, sucht nach Worten. „Wie Musik, so organisiert auch der Roman Zeit.“

Mit großen „Lustprämien“ sei die Arbeit für ihn verbunden, mit rauschhaften Zuständen, aber auch mit großen Opfern. Denn eigentlich könne man nur schreiben, wenn der Kopf völlig frei sei. Und dafür „muß man schon ein gewaltiger Verdränger sein“. Gerd Fuchs denkt an die ganze Brotarbeit für den Rundfunk, an einige Hörspie- le und Drehbücher und die Glücksfälle unvorhersehbarer Tantiemen- zahlungen. Vom Schreiben allein kann er nicht leben, immer noch nicht. „Irgendwann sehen Sie ja auch keinen Sinn mehr darin . . .“ – er führt den Satz nicht zu Ende, zieht langsam an seiner Pfeife, blickt ins Leere. Nun sieht er älter aus, als er sollte.

Nein, im Moment habe er kein konkretes großes Projekt. Zwar brüte er an einem Ideencluster, aber es kribbelt noch nicht im Bauch. Er liest viel, Jean Paul und vor allem Heine. Vielleicht wird er wieder einmal ein Jugendbuch schreiben, das hat ihm in der Vergangenheit außer großem Vergnügen auch die höchsten Verkaufszahlen bereitet.

Beim Abschied zeigt er mir seine Schreibmaschine, die hat er 1957 gekauft, und lacht schalkhaft, als er ihre Namen mit zwei segnenden Gesten skandiert: „durabel“ und „Triumph“. Ironie des Schicksals.

Hilmar Schulz

Gerd Fuchs liest morgen in einer Woche in der Bücherhalle Grindel, 11 Uhr, der Eintritt ist frei