Runter von der Insel

■ Zehn Jahre „Stattbau“: Interview mit Geschäftsführer Tobias Behrens über Frust und Lust und Perspektiven alternativer Stadtentwicklungsplanung

taz: Bei der Gründung 1985 wurde mit „Stattbau statt Abriß“ geworben. Ist das Motto zehn Jahre später noch aktuell?

Tobias Behrens: Der Slogan wandte sich gegen eine Sanierungspolitik, die ganze Stadtteile wie St. Pauli, St. Georg, Altona oder die City-West plattmachen wollte, um dort Arbeits- und Bürokomplexe hinzusetzen. Als das Geld für diese zum Teil bis zu 60 Stockwerke hohen Gebäude nicht reichte, gab es eine große Unsicherheit: Wie sollte es weitergehen mit der Stadterneuerungspolitik? Parallel entstand die Besetzerszene. Hamburg hat dann versucht, mit Hilfe des alternativen Baubetreuungsverbands diesen Konflikt zu entschärfen: Die Besetzer sollten die Häuser auf legalem Weg bekommen. Ein intermediärer Träger wurde eingesetzt, der unabhängig ist von der Stadt und die Projekte abwickelt: Das ist bis heute eines der wichtigsten Merkmale unserer Arbeit.

Hatte die Szene erkannt, daß sie nur über eine Institution mit Politikern in den Dialog treten kann? Oder wurde Stattbau von Politikern gegründet, um die Besetzer ruhigzustellen?

Das war sicherlich ein Denken, das anfangs dazu beigetragen hat, daß Stattbau von der Stadt gefördert wurde. Man hat gesagt, da habt ihr ein paar alte Häuser und ein bißchen Geld, und dann ist Ruhe. Aber ohne den massiven Druck der Wohnprojekte und anderer Gruppen hätte es in Hamburg das alternative Baubetreuungsprogramm nie gegeben. Und hier gab es nicht nur die Hafenstraße. Wenn einige sagen, mit diesen Sanierungsprojekten hätte man die Szene ruhiggestellt, so liegt das nicht an der Sanierungsarbeit der Gruppen, sondern an anderen Lebensumständen.

Außerdem ist es immer noch so, daß sich die Projekte sehr engagiert in die Stadtteilentwicklung und in die politische Diskussion einmischen. Es wurde dauerhaft preiswerter Wohnraum geschaffen, und für viele haben sich neue Perspektiven ergeben. Inzwischen sind nicht nur die Hausbesetzer in unserem Arbeitsspektrum vertreten, sondern alle möglichen Formen von Wohnprojekten. Trotzdem heißt es bei Konflikten oft noch 'Ach, die Chaoten' – so ein Ruf haftet ziemlich lange an. Andererseits muß man nach zehn Jahren bei den Behörden nicht mehr in erster Linie gegen Vorurteile kämpfen.

Das hört sich an, als könne sich Stattbau genüßlich zurücklehnen, weil alle Ziele erreicht sind.

In den vergangenen zehn Jahren haben wir Selbsthilfe, nutzerorientierte Planung und Selbstverwaltung als akzeptierte Bestandteile der Stadtentwicklung in Hamburg durchgesetzt. Daß das funktioniert, braucht man nicht mehr nachzuweisen. Daß es keinen größeren Umfang annimmt, liegt an der fehlenden innovativen Wohnungspolitik.

Ich habe den Eindruck, daß die politische Dimension auf der Strecke geblieben ist: Die Leute wollen günstigen Wohnraum, sich aber nur mäßig engagieren.

Das sehe ich anders. Das gemeinschaftliche Wohnen ist nicht mehr nur eine Szene-Erscheinung von ein paar besonders Progressiven. Es sind heute weniger die spektakulären Sachen, für die Leute auf die Straße gehen. Die gibt's natürlich auch noch, Laue und so. Aber viele Leute sind pragmatischer geworden. Sie suchen eine Alternative zum anonymen Mietermarkt. Die planen sie dann konkret.

Und die Wohnsituation hat sich geändert: Vor zehn Jahren gab es viele leere Häuser in der Stadt. Heute kann man die an einer Hand abzählen. Bei 50.000 fehlenden Wohnungen in Hamburg wird jede Hundehütte renoviert und für teures Geld vermietet.

Also eine Neu-Orientierung in der Wohnungspolitik?

Die Wohnungspolitik ist eine festgefahrene und von vielen Einzelinteressen geprägte Insel. Es ist schwierig, hier Veränderungen durchzusetzen. Wenn wir nutzerorientierte Planung, Selbsthilfe oder Selbstverwaltung vorschlagen, bedeutet das auch immer, daß andere etwas abgeben müssen, und das ist immer auch eine Macht- und Marktfrage.

Zusammen mit der Wohnungsbaugenossenschaft Schanze ist es in vielen Projekten gelungen, Verantwortung und Aufgaben an die Mieter abzugeben, was sich immer kostenmindernd für die Mieter auswirkt. In der traditionellen Wohnungswirtschaft steht man solchen Ideen meist ablehnend gegenüber, weil hier nicht zuletzt große Apparate beschäftigt werden müssen.

Also runter von der Insel?

Wir versuchen zum Beispiel mit der SAGA in Heimfeld, das zu den städtischen Armutsbekämpfungsgebieten gehört, Gemeinschaftsräume für die Mieter zu schaffen und Wohnprojekte aufzubauen. Es ist schwierig zu sagen, ob uns das gelingen wird. Unser Ziel ist es, Erfahrungen aus Szenegebieten – dieses Übertragen von Verantwortung – in einen anderen Stadtteil, eine andere Bevölkerungsschicht zu transportieren.

Solche Groß-Wohnsiedlungen gab es früher auch. Warum werden Bedürfnisse nach Gemeinschaftseinrichtungen erst jetzt geäußert?

Den Mangel an Wohnqualität hat es schon immer gegeben. Doch die Politiker fangen nicht an zu handeln, weil es Menschen schlecht geht. Sie handelt erst, wenn es um Machtverlust geht. Die Ergebnisse bei den letzten Wahlen zeigten besonders in benachteiligten Stadtteilen eine dramatische Veränderung: Weg von den großen Parteien und hin zum Nichtwählen oder zum Wählen von radikalen Parteien. Nicht besseres Wissen über solche Stadtteile und ihre Probleme war der Auslöser zu handeln, sondern ganz konkretes Wahlverhalten und sich andeutender Machtverlust.

Ist das nicht frustrierend?

Total. Es ist ein Armutszeugnis für die Ideen, die es in diesem Bereich gibt. Das Armutsbekämpfungsprogramm des Senats wird von Fachleuten angegriffen, weil es nur für drei oder vier Jahre angelegt ist. Wer sich ein bißchen damit auskennt, weiß, daß das allenfalls ein Schnellschuß ist. Man rechnet in Stadtentwicklungsprozessen in Zehn-Jahres-Schritten, nicht in Wahlperioden. Ein weiterer Mangel in der Hamburger Wohnungsbaupolitik ist, daß bei Neubauten zu wenig Flächen der freien Gestaltung durch die Mieter überlassen werden. Es geht nicht darum, ein Bürgerhaus hinzusetzen, sondern die Leute zu fragen, was sie wollen. Vielleicht ein selbstverwaltetes Kulturzentrum?

Ist dieser partizipative Ansatz nicht längst überholt? Oft herrschen Ideenlosigkeit und Gleichgültigkeit, wenn die Leute sagen sollen, was sie wollen.

Ich bin der festen Überzeugung, daß das langfristig die einzige Chance ist. Eine Vollversorgung praktisch, quadratisch, gut ist stinklangweilig. Man muß die Menschen nicht nach ihren Defiziten definieren, sondern nach ihren Interessen. Nur so wird Stadtentwicklung den zukünftigen Aufgaben gerecht.

Fragen: Heike Haarhoff