Keine Geschichten

■ Friederike Mayröcker im Literaturhaus

Geschichten erzählen – das will Friederike Mayröcker auf keinen Fall. Für die österreichische Schriftstellerin, 1924 in Wien geboren, ist das Erzählen anachronistisch, also verweigert sie–s: „Gibt es eine nonfigurative Literatur, ein nonfiguratives Erzählen, frage ich mich, die wassertreibende Kunst?“ Mayröckers eigenartig-einzigartiger Wörterstrom fließt gleichsam wie von selbst und sucht sich dabei ein Sinn- und Bedeutungsbett. Die Leser können sich in diesem Wortfluß verlieren, ihn nach Belieben verlassen und an einer anderen Stelle wieder hineingleiten, sich Mayröckers Wortschöpfungen hingeben – wie in Lection, ihrem jüngsten Prosatext: „um jederzeit schreiben zu können, die verschiedenen Anklänge an die Augen und Ohren, Verschwärmungen, Damendecke, Introspektion“.

Schreiben ist Friederike Mayröckers Lebenselixier, „die Sprache, die ich schreibe, muß mich zerfetzen“, sagt die wie immer leuchtend schwarz gekleidete Dichterin Dienstag abend nach ihrer Lesung im Hamburger Literaturhaus. Ihr Lebensschreiben erfährt sie auch körperlich, „ich spüre, wie meine ganze Körperhaut sich dabei auflädt“. Sie ersehnt den morgendlichen Schreibfluß und fürchtet das Lebensende – weil dann auch das Schreiben aufhört.

Die strömenden Prosatexte Mayröckers sind mitnichten ungestaltet, hat sie doch „immer nur diese eigene Sprache geliebt, gepflegt, an ihr herumgenestelt, gewalkt, geputzt, gewaschen, geküßt“. Hier steht „das Furioso neben der Berechnung“. Verbalträume werden verfremdet, die Korrespondenz mit Autoren und Malern imaginierend erlebt. Dabei ist der Bezug zur Malerei zentral, denn die Bildwelten eines Dalí oder Zigaina stimulieren Mayröcker.

Nicht von ungefähr lassen viele Flüssigkeiten die Wörter treiben, beispielsweise sind die „Füllfedern mit warmer Milch gefüllt“. Im konzentrierten Gespräch nach der Lesung wird deutlich: Friederike Mayröcker nährt ihre Wortgeburten aus ihrem Kopf, dem wichtigsten Körperteil des Menschen. Ihr Dichter-Mann Ernst Jandl schrieb zu ihrem 70. Geburtstag treffend: „friederike mayröcker hat in ihrer kunst eine glorreiche höhe erklommen.“ Frauke Hamann