Überdruß und Bürosex

■ Jürgen Gosch inszenierte Jean Eustaches „Die Mama und die Hure“ im TiK, Elke Lang Sergi Belbels „Nach dem Regen“ im Malersaal

Die Mama und die Hure

Eine Sie-liebten-und-sie-schlugen-sich-Geschichte. Eine Dreiecksgeschichte. Eine Geschichte, die mehr vom Überdruß an den neugewonnenen Freiheiten, an der sexuellen Befreiung erzählt, als daß sie an den gesellschaftlichen Aufbruch in der Folge der Mai-Unruhen 1968 in Paris noch glaubt, das ist der Film Die Mama und die Hure. Jean Eustache drehte ihn Anfang der 70er Jahre. Damals fand sich eine ganze Generation in ihm wieder. Jetzt, mindestens zwei Generationenbrüche später, hat Jürgen Gosch den Film in ein Theaterstück übersetzt. Letzte Spielzeit hat er es in Bochum, nun mit teilweise denselben Schauspielern wieder am TiK inszeniert.

Wie lang sind fast 30 Jahre? In den Augen von Jürgen Gosch lang genug, um sich den Geschichten, die sich rund um den Mai 1968 und alles, was dem folgte, ranken, distanziert zu nähern. In der Bochumer Inszenierung ließ er noch Raum für Atmosphäre. Jetzt hat er der Handlung endgültig den Chanson ausgetrieben.

Hin und her schwankt die Hauptfigur Alexandre zwischen den beiden Frauen Marie und Veronika. Ansonsten nutzt er jede Gelegenheit zur zynischen Sottise, den Rest der Zeit vertreibt er sich in Cafés. Gelegentlich kann man den Eindruck entwickeln, mindestens bei Tschechow zu sein. Oder gleich ganz in einer überzeitlichen Studie über das Sozialverhalten von Großstadtbewohnern, die nicht mehr an die traditionellen Rollenmuster glauben, aber auch nicht mehr daran, sich von ihnen wirklich befreit zu haben. Eine sezierende Figurenstudie: So lang sind 30 Jahre.

Aber mindestens zwei Stunden lang weckt das Ensemble das Interesse an den Figuren auch und gerade über diesen Abstand hinweg. Zum Beispiel, wenn Martin Feifel als Alexandre wie ein Fragezeichen auf der Bühne steht, leicht gekrümmt. Oder wenn Katharina Linder als Veronika unverblümt von ihrem Sexualleben mit Assistenz-ärzten erzählt. Zwei Stunden schönes, klares Schauspielertheater. Das ist viel. Da die Aufführung allerdings vier Stunden dauert, ist vom Zuschauer doch Langmut gefordert. Dirk Knipphals

Nach dem Regen

Letzten Dezember lud im Malersaal die Tiefgarage eines Hochhauses zu einer Reise Nach Jerusalem, diesmal war das Dach der Ort. Doch besaß Tankred Dorsts Kellerdrama noch Poesie und Tiefgründiges, so läßt Sergi Belbels Raucher-Komödie Nach dem Regen erwarten, daß in den heutigen Rezensionen schlimme Kalauer sprießen werden („Viel Rauch um Nichts“, „heiße Luft“ oder „Vom Winde verweht“ etwa?).

Denn Belbels Gesellschaftsspiel mit durchschnittlichen Büromenschen männlicher und weiblicher Natur verläßt den Rahmen der Wiedererkennbarkeit nicht und wird damit trotz einigem märchenhaften Beiwerk selbst ein Stück Durchschnittlichkeit. Den vorhersehbaren Dialogen gewöhnlicher Angestellter um Bürobekanntschaften, Höhenangst und Karriereprobleme mischt Belbel für die Pointen zwar noch ein paar „Verrückte“ bei – deren Andersartigkeit aber ist so transparent wie ein Stundenglas und entsprechend zäh fließt die Zeit.

Ein kreischiges Mädchen mit wirren Theorien, eine strenge Dame mit Tagträumen und ein lustiger Best-Boy sollen retten, was durch Alltäglichkeit langweilt. Liebeshändel zwischen Chef und Sekretärinnen, stereotype Biederkeit, Bürosex und Verwandlungen durch Erfolgsdruck haben unverzerrt und ohne Gemeinheit inszeniert (Regisseurin: Elke Lang) aber ihre Lebensberechtigung nur in den Artikeln von freundin oder Für Sie. Im Theater sind sie eine Qual, zumal wenn sich die lächerliche Normalität auch noch in ein achtfaches Happy-End statt in ein forsches Gemetzel übergibt. Till Briegleb