„In der Opposition ist kein Profil zu gewinnen“

■ Peter Strieder, noch amtierender Kreuzberger Bürgermeister und Parteilinker, plädiert für eine Fortsetzung der Großen Koalition

taz: Die Sondierungsgespräche mit der CDU haben wenig Konkretes gebracht. Warum soll die SPD trotzdem nicht in die Opposition gehen?

Peter Strieder: Ich meine, die SPD muß Koalitionsverhandlungen führen. Wenn es nicht zu einer Übereinstimmung kommt, dann scheitern die Koalitionsverhandlungen eben. Und dann haben wir zugleich die Themen für den nachfolgenden Wahlkampf.

Was gibt Ihnen Hoffnung, daß die SPD mehr Profil im Senat zeigen könnte?

Das Profil der SPD hängt ab von der Philosophie, mit der sie in eine solche Koalition hineingeht. Die Große Koalition ist kein Selbstzweck. Die Frage ist vielmehr, ob man darin sozialdemokratische Politik durchsetzen kann. Ich habe als Kernpunkte die Haushaltskonsolodierung und eine Bildungsoffensive vorgeschlagen. Die SPD hat sich auch auf das Jahr 1999 vorzubereiten. Spätestens dann muß versucht werden, eine rot-grüne Mehrheit in Berlin zu schaffen.

Der SPD bleibe nach der Wahlniederlage nur die Opposition, um sich zu erneuern, vertreten andere Genossen.

Eine tolerierende Opposition würde erst mal bedeuten, die SPD wählt den Minderheitssenat der CDU...

...nur den Regierenden Bürgermeister, betont Erich Pätzold. Bei den Senatoren müßte die CDU akzeptable Personen vorschlagen...

Gleichwohl wird es aber eine CDU-Politik sein, die ein CDU- Senat macht – jedenfalls soweit er nicht auf die Zustimmung des Parlaments angewiesen ist. Außerdem gilt, daß auch eine Minderheitsregierung parlamentarische Mehrheiten braucht, um beispielsweise das Haushaltsgesetz durchzubringen. Dieser Haushalt wird aber nicht allein aus sozialdemokratischen Vorstellungen bestehen. Dann werden die Grünen und die PDS mit dem Finger auf uns zeigen und sagen, erst habt ihr gegen die unsozialen Sparvorschläge der CDU protestiert und macht zum Schluß dann doch einen Teil davon mit. In einer solchen Zwitterrolle – ein bißchen Regierung, ein bißchen Opposition – ist kein Profil zu gewinnen. Die Alternative zur Neuauflage einer Großen Koalition sind nur rasche Neuwahlen.

Die Opposition sei eine große Chance, sagt Erich Pätzold.

Wenn man die Rolle als Regierungspartei gewohnt ist, dann ist Opposition ein gewaltiger Lernprozeß. Außerdem gehört dazu, daß man dann auch spektakulär und grundsätzlich Gegenpositionen bezieht. In dieser Situation ist die SPD bei einer tolerierenden Opposition nicht. Sie wird eine Regierungspolitik der CDU in weiten Teilen mittragen und ab und zu den Daumen heben oder senken. Das wird eine Rolle sein, wie sie die SPD derzeit im Bundesrat hat. Man kann das eine oder andere verbessern, aber eine grundsätzliche Oppositionshaltung kann man damit nicht vermitteln.

Steckt dahinter die Sorge, daß die SPD in der Opposition gegenüber PDS und Grünen nur verlieren kann?

Natürlich. Dazu bedarf es doch auch eines profilierten Personals, um auch öffentliche Aufmerksamkeit zu erreichen. Darauf ist die SPD-Fraktion eher nicht eingestellt. Spektakuläre Vorschläge sind nicht unbedingt das Feld der SPD. Da waren die Grünen schon immer besser. Ich glaube nicht, daß die SPD, selbst wenn sie reine Oppositionspolitik machen könnte, neben den Grünen sehr gut aussehen würde.

Welche Fehler muß die SPD in der Großen Koalition vermeiden?

Die Senatoren wie auch die Abgeordnetenhausfraktion müssen sich mehr in die innerparteiliche Diskussion begeben – um daraus zu lernen und andererseits auch pragmatische Handlungszwänge zu vermitteln. Das Aneinandervorbeireden von Landesparteitag und Regierungsmitgliedern oder Parlamentariern führt nicht zur Profilbildung, sondern dazu, daß die SPD als zwei Parteien wahrgenommen wird. Zum anderen müssen die SPD-Mitglieder im Senat als eine gemeinsame Gruppe auftreten. Als Fachsenator solide Arbeit zu machen ist nicht ausreichend. Es bedarf vielmehr einer gemeinsamen Strategie in Abgrenzung zum CDU-Teil im Senat.

Bei einem verkleinerten Senat bleibt wenig Handlungsspielraum, die SPD-Bank zu stärken.

Die SPD muß die Verhandlungen sehr selbstbewußt führen. Die CDU ist darauf angewiesen, daß die SPD in die Regierung einsteigt, umgekehrt ist die SPD nicht darauf angewiesen. Die SPD kann, wenn es an den richtigen Punkten kracht, Neuwahlen riskieren.

Beansprucht die SPD die Hälfte der Ressorts?

Natürlich. Die SPD ist ja in dieser Großen Koalition ein Teil der gesellschaftlichen Linken. Deswegen kann man sie nicht an ihrem Wahlergebnis von 23,6 Prozent messen, sondern daran, daß die CDU allein nur 37 Prozent hat. Weil die CDU gegen die restlichen 60 Prozent des Parlaments nichts ausrichten kann, braucht sie die SPD.

Halten Sie es für sinnvoll, daß die SPD das Finanzressort beansprucht, wo nur schlechte Nachrichten zu verteilen sind?

Das ist insgesamt das Problem. Wer sich an diesem Senat beteiligt, wird angesichts der Haushaltslage nicht als Strahlemann herauskommen. Es werden gravierende Einschnitte nötig sein. Egal ob in der Opposition oder im Senat – die SPD wird benennen müssen, wo gekürzt oder gespart werden soll. Das Vermögen des Landes darf man nicht einsetzen, um strukturelle Defizite zu verringern. Wir können nicht Wohnungsbaugesellschaften verkaufen, um das Defizit zu verringern. Da kann ich nur sagen, mit uns nicht. Dann machen wir mit diesem Thema Wahlkampf. Da aber ein großer Teil der Sparmaßnahmen im Personalbereich stattfinden müssen und gleichzeitig die Verwaltungsreform nach vorn getrieben werden muß, halte ich das Innenressort für das wichtigere.

Bausenator Wolfgang Nagel möchte Finanzsenator werden und gleichzeitig die Hoheit über die geplante Verwaltungsreform haben.

So weit sind wir noch nicht, daß einzelne jetzt ihre Ressorts zuschneiden und öffentlich Bewerbungen abgeben. Man muß sich erst einmal das Verhandlungsergebnis ansehen. Erst am Ende wird es ein Personaltableau geben, welches deutliche Veränderungen aufweisen muß. Da müssen dann zwei bis drei Neue dabei sein.

Es ist bloß Beruhigung zu sagen, wenn es mit den Koalitionsverhandlungen nicht klappt, machen wir Neuwahlen.

Die nächsten vier Jahre werden für die SPD wegen der notwendigen Kürzungsentscheidungen eine wirkliche Zerreißprobe sein. Wer versucht, mit einer Wischiwaschi- Koalitionsvereinbarung eine Mehrheit auf dem Parteitag zu ergattern, wird nach wenigen Monaten vor einem Desaster stehen und eine Partei haben, die sich der Parlamentsfraktion und den Senatsmitgliedern verweigert – mit verheerenden Folgen für die Wahlen 1999.

Interview: Gerd Nowakowski