"Die Opposition ist eine große Chance"

■ Erich Pätzold, ehemaliger Innensenator und Parteirechter, sieht die Oppositionsbank als einzigen Weg zur Erneuerung der SPD

taz: Warum sollte die SPD in die Opposition gehen?

Erich Pätzold: Die SPD kann sich nur in der Opposition erneuern. Die SPD muß die große linke Volkspartei und linke Alternative zur CDU bleiben. Sie darf nicht als bloßes soziales Anhängsel der CDU wahrgenommen werden. Wer jetzt noch einmal in die Große Koalition gehen will, muß sehen, daß es dann bereits neun Jahre Große Koalition sind. Das ist demokratiegefährdend. Die heutigen Argumente für eine Große Koalition gelten auch in vier Jahren oder in acht Jahren. Wir werden weiter die Situation haben, daß die PDS rechnerisch das Zünglein an der Waage ist. Mit Rote-Socken-Kampagnen versucht die CDU die PDS möglichst lange auszugrenzen und die SPD mieszumachen. Weil die CDU ohne anderen Koalitionspartner ist, versucht sie zugleich, die SPD zum bloßen Mehrheitsbeschaffer zu stempeln.

Wie sieht eine tolerierende Opposition aus?

Tolerierende Opposition heißt nicht, daß man allem zuzustimmen hat, was der Minderheitssenat vorlegt, und dafür auch die Prügel einstecken darf, ohne jeden Einfluß auf die Verwaltung. Das ist ein völlig windschiefes Bild.

Sie wählen den Regierenden mit, stellen keine Senatoren ...

Das muß nicht heißen, daß man sich keine Schlüsselposition sichert. Das kann man bei einer Tolerierung vereinbaren, beispielsweise bei den vorhandenen Staatssekretären. Zentral ist doch aber: wer in die Regierung mit nicht profilierungskräftigen Leuten geht, wird dort unscheinbar mitregieren. Das haben wir die letzten fünf Jahre gesehen. Weil die SPD wieder mit ähnlicher Mannschaft antreten würde, ist mein Zutrauen gering, daß sich etwas bessert. Der Irrtum ist der, zu sagen, man könne nur in der Regierung mitbestimmen und in der Opposition nicht. In der Regierung haben die SPD- SenatorInnen in den letzten Jahren kaum ein Gesamtprofil gewonnen. Die SPD war nicht prägend wahrnehmbar trotz eines relativ schwachen Partners.

In der Opposition ist das Personal auch kein anderes.

Wer in die Opposition geht, wird dadurch nicht personell stärker. Aber er wird im kalten Wasser des harten Wettbewerbs schwimmen müssen und sich nicht mehr im gewärmten Bett in den Armen eines Partners wiederfinden, der eigentlich sein natürlicher politischer Gegner ist. Man wird wieder zeigen müssen, was man will. Man wird die fachlichen Ressourcen der Partei in Anspruch nehmen und nach Talenten suchen müssen. Alle diese Prozesse laufen jetzt nicht, so verharrscht, wie die Partei ist. Auch wenn man starke Leute hat, sollte man jetzt in die Opposition gehen, weil man die Profilbildung von dort aus sehr viel besser betreiben kann. In der Opposition käme die SPD gleichsam in die Rolle des Bundesrats gegenüber der Bundesregierung: Da passiert wenig, wenn der Bundesrat nicht zustimmt. Es ist eine große Chance, bei allem, was die CDU will, ja oder nein zu sagen oder etwas ganz anderes vorzuschlagen und der Öffentlichkeit zu vermitteln, daß dies gute Gründe hat.

Gemeinhin geht man in die Regierung, um etwas zu bewirken.

Wir haben in den achtziger Jahren in acht Jahren Opposition manchen Unsinn der CDU verhindert, der jetzt in fünf Jahren Großer Koalition passiert ist, und uns bis 1989 wieder für die Regierungsfähigkeit aufgebaut. In der Oppositionsrolle kann man, besondern wenn man gebraucht wird, viel mehr erreichen. Es ist doch auch nicht so, daß man in der tolerierenden Opposition den Regierungschef wählt und dann auch der Regierungsmannschaft zustimmen muß. Wir wählen, anders als in einer Koalition, nur zumutbare Leute. Das gleiche gilt beim Haushalt: Wie kämen wir denn dazu, daß die CDU einen Haushalt vorlegt, und wir sagen dann: Jawoll. Das wird umgekehrt sein: Aus der Opposition gestaltet die SPD den Haushaltsplan entscheidend mit. Bei den Verhandlungen über den Haushalt redet man dann auch nicht nur mit der CDU, sondern ebenfalls mit anderen Parteien. Die müssen dann mal Verantwortung übernehmen.

Aber in der Opposition sitzen sie auch mit PDS und Grünen in einem Boot. Da wird die CDU dann immer wieder Gelegenheit finden, die Schuld der „Linken Volksfront“ zuzuschieben, wenn nichts vorwärtsgeht.

Da habe ich überhaupt keine Sorge. Man sitzt nur in einer Koalition in einem Boot. In der Opposition sitzt man in drei getrennten Booten. Da rudert man unterschiedlich, vielleicht auch mal im Gleichklang. Wenn wir der Öffentlichkeit klarmachen können, daß die CDU beispielsweise Busspuren verhindert, dann werden wir sie durchsetzen, auch wenn dann die PDS zustimmt.

Ist eine solche Perspektive realistisch bei einer SPD-Fraktion, die sich nicht einmal traute, Heckelmann einen Tritt zu geben?

Sicherlich hat die SPD nicht kraftvoll gewirkt. Aber das ist nicht der Punkt. Entscheidend ist doch: wer es nicht schafft, sich in der Regierung zu profilieren, der wird wenigstens in der Opposition gezwungen, kämpfen zu müssen, sich bekennen zu müssen. Es ist doch so, daß ein Teil der Abgeordneten sagt: Was machen wir denn, wenn uns die Verwaltung nicht mehr zuarbeitet? Da sind in den letzten Jahren einige muskelschwach geworden, weil der Selbstbehauptungszwang fehlte.

Können Sie sich ein Angebot der CDU vorstellen, bei dem die SPD wieder in den Senat gehen sollte?

Die CDU kommt politisch mit nichts rüber, was interessant und nicht selbstverständlich ist. Selbst wenn die CDU der SPD fünf der zehn Ressorts überließe, würde das nicht als Erfolg, sondern nur als notariell beglaubigte Postensucht der SPD gehandelt werden. Wenn die CDU sagt, wir machen Berlin- Brandenburg und sparen gemeinsam – das ist doch kein großes Programm, mit dem sich die SPD gegenüber der CDU als linke Partei profilieren kann.

Ich habe im übrigen vor fünf Jahren erlebt, daß wir von der CDU gar nicht viel zu fordern brauchten – es wurde uns fast alles zugestanden. Man war bei der CDU so scharf darauf, wieder an die Fleischtöpfe der Macht zu kommen, daß so ziemlich alles unterschrieben wurde. Aber als es dann darum ging, das dort Fixierte einzufordern, da wollte die CDU nicht mehr viel davon wissen – und der eine oder andere SPD-Senator auch nicht.

Das Versagen in der Großen Koalition ist offenkundig. Warum wollen andere Sozialdemokraten dennoch weitermachen?

Wenn man sich bei den Rednern des Parteitags anschaut, wer eine Aufgabe in der Großen Koalition wahrnimmt oder ein Amt anstrebt, dann zeigt sich, daß vor allem jene für die Große Koalition eintreten, die sich jetzt kaum noch etwas anderes vorstellen können. Hier hat Marx immr noch recht: Das Sein bestimmt das Bewußtsein.

Interview: Severin Weiland

und Gerd Nowakowski