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■ Read.Me: Dieter Prokops Streifzug durch 100 Jahre Mediengeschichte

Einen geschichtlichen Überblick verspricht Dieter Prokops Buch „Medien-Macht und Massen-Wirkung“ im Untertitel; doch was Prokop präsentiert, orientiert sich in erster Linie am hundertjährigen Jubiläum des Kinos. Die Aspekte Radio, Presse und Popmusik werden zwar mitunter gestreift, doch einen größeren Stellenwert erhält allenfalls das Fernsehen. Auch seinem Vorwort wird Prokop nur zum Teil gerecht, wenn er verspricht, die Mediengeschichte vor allem aus soziologischer Perspektive zu betrachten. Denn sein Buch verläßt diese Position immer wieder zugunsten von Nebenschauplätzen, die mit Wissenschaft allenfalls entfernt zu tun haben.

So wird also „Medien-Macht und Massen-Wirkung“ öfter den modernistischen Bindestreichen seines Titels gerecht als dem Versprechen des geschichtlichen Überblicks, was das Buch zwitterhaft und unentschieden erscheinen läßt (das läßt sich zudem auch im ständigen abrupten Wechsel von Fach- zu Umgangssprache ablesen): Für den interessierten Laien ist es zu stark auf Ökonomie und Soziologie ausgerichtet, während Prokop jenen Lesern, denen das Thema nicht völlig fremd ist, zu viele bereits bekannte Dinge erzählt. Ohnehin legt der Buchtitel nicht unbedingt hahe, daß sich der versprochene Überblick (von ein paar Alibi-Anmerkungen über Deutschland abgesehen) auf die USA konzentriert.

Ungleich interessanter ist Prokops soziologisch geprägte Analyse der Mediengeschichte, die die strukturellen Ursachen von gesellschaftlichen Tatbeständen herausarbeiten und deren Eigengesetzlichkeit belegen soll und so Massenphänomene verständlich machen will. Zu diesem Zweck konzentriert sich Prokop auf Strukturen, was sich wiederum in der stringenten Strukturiertheit seines Buches niederschlägt. Er unterteilt das Jahrhundert in zeitliche Abschnitte und analysiert diese anhand immer wiederkehrender Kriterien (zum Beispiel Marktstrukturen, Publikumsstrukturen, Forschung/Theorie). Auf diese Art ergibt sich ein kontinuierlicher Abriß nicht nur der Filmgeschichte, sondern auch der ökonomischen Entwicklung der Massenmedien sowie der verschiedenen soziologischen und psychologischen Ansätze zu den Wirkungen der Massenkommunikation. Diese verschiedenen Strukturen miteinander in Zusammenhang zu bringen ist Prokop allerdings bei weitem nicht in dem Maße gelungen, wie er sich das vermutlich vorgenommen hat; dafür sind die verschiedenen Standorte einfach zu lose miteinander verknüpft. Erst recht Fremdkörpercharakter haben die diversen Exkurse (zum Beispiel über Medienkritik oder Fernsehjournalismus), die sich wie Abrechnungen lesen.

Prokops Problem ist zudem, daß er versucht, zuviel Wissen zwischen zwei Buchdeckel zu packen. Dies zwingt ihn, einerseits Entwicklungen zu vertiefen (die technische Entstehung des Mediums Film zum Beispiel wird in allen Einzelheiten geschildert), andererseits aber ähnlich komplexe theoretische Konstrukte (zum Beispiel die Massenpsychologie) mit jener unkritischen Oberflächlichkeit abzuhandeln, die er den Verfechtern dieser Theorien oft vorhält. Das ist bei einem Autor mit seiner Reputation schon verwunderlich; immerhin ist Prokop Verfasser einiger mediensoziologischer Standardwerke.

Unterm Strich scheint „Medien- Macht und Massen-Wirkung“ daher so etwas wie ein spätes Abfallprodukt von Prokops ZDF-Reihe „Hollywood, Hollywood“ (1990) zu sein: Die Reihe hat er um filmgeschichtliche Fakten, diverse Anekdötchen und von ihm durchgeführte Interviews geplündert, um sie dann mit (überwiegend zahmen) Fundstücken aus seinen früheren Werken zu ergänzen. Zwangsläufig ist sein Buch daher nichts Halbes und nichts Ganzes geworden. Tilmann P. Gangloff

Dieter Prokop: „Medien-Macht und Massen-Wirkung. Ein geschichtlicher Überblick“. Rombach Verlag, Freiburg im Breisgau, 465 Seiten, 68 DM