Keine Gnade für DDR-Totalverweigerer

■ Oliver Blaudszun bleibt wegen „Fluchtgefahr“ und „dringenden Tatverdachts“ in U-Haft

Der 26jährige Totalverweigerer Oliver Blaudszun bleibt weiter in Untersuchungshaft, entschied gestern Richter Frank Schreiber vom Amtsgericht Tiergarten. Der Richter lehnte den Antrag auf Haftverschonung ab, weil „Fluchtgefahr“ und „dringender Tatverdacht“ bestünden. Die Fluchtgefahr wird als besonders groß angesehen, weil Blaudszun keinen festen Wohnsitz und seinen Lebensmittelpunkt nicht in der Bundesrepublik habe.

Seit Ende November letzten Jahres sitzt Blaudszun in Moabit ein und wartet auf seinen Prozeß am 22. Januar. Die Anklage lautet auf Fahnenflucht. Nach dem Wehrgesetz drohen bis zu fünf Jahre Freiheitsentzug.

Blaudszun hat schon 1987 in der DDR den Wehrdienst wie den Ersatzdienst (18 Monate „Bausoldat“) abgelehnt. Er ist 1988 wegen „Republikflucht“ zu 17 Monaten Haft verurteilt worden, von denen er bis zum Mauerfall 15 Monate absaß. Die Bundesregierung hatte ihn als politischen Häftling anerkannt. Versuche, ihn freizukaufen, schlugen fehl. Nach Angaben Blaudszuns sollte ihm in der DDR auch ein Prozeß wegen seiner Totalverweigerung gemacht werden.

Die Bundeswehr rief ihn im Oktober 1993 dennoch für den 3. Januar 1994 zu den Waffen. Blaudszun legte Widerspruch ein. Er versäumte es aber, beim Verwaltungsgericht Berlin einen Antrag auf Einzelfallprüfung zu stellen. Daher hatte sein Widerspruch keine aufschiebende Wirkung, „so daß Herr Blaudszun für uns seit dem 3. Januar 1994 Soldat der Bundeswehr ist“, sagt der Leiter des Kreiswehrersatzamtes, Bernhard Steimpel. Blaudszun setzte sich anderthalb Jahre nach Portugal ab. Bei seiner Rückkehr im November 1995 wurde er auf dem Frankfurter Flughafen festgenommen. Für Bundeswehr-Sprecher Steimpel ist „die Sache in Ordnung“. Er sieht auch keinen Grund, „warum man vom Einberufungsbescheid abrücken sollte“. Blaudszun habe sich selbst in die Situation manövriert. Schließlich habe er Antrag auf Kriegsdienstverweigerung stellen können. Der Einberufungsbescheid kann jetzt nur noch auf Weisung von Bundesverteidigungsminster Rühe (CDU) zurückgenommen worden. „Doch da“, sagt Steimpel, „wäre das Ministerium nicht gut beraten.“ Beim Bundesminister für Verteidigung will man sich mit dem Hinweis auf das laufende Verfahren zum konkreten Fall nicht äußern. Aber: „In einem Rechtsstaat kann es keinen Freiraum für Großzügigkeit geben, die letztlich Willkür bedeutet“, so ein Sprecher des Ministeriums. Blaudszun könnte auch nach einer rechtskräftigen Verurteilung als Bundeswehrsoldat angesehen werden. Es sei denn, er werde zu mehr als einem Jahr Freiheitsstrafe verurteilt. „Wir müssen deutlich machen“, so der Ministeriumssprecher, „daß man sich nicht durch ein einfaches Verweigern dem Dienst entziehen kann.“

„Bei der Vorgeschichte kann man Blaudszun keinen Tag länger in Haft lassen“, sagte dessen Anwalt Wolfgang Kaleck zur gestrigen Entscheidung. Die Fluchtgefahr mit dem fehlenden Wohnsitz zu begründen sei kurzsichtig, weil Blaudszun durch seinen Großvater über eine ladungsfähige Adresse verfüge. Die Fraktion der Bündnisgrünen im Abgeordnetenhaus bezeichnete die Ablehnung der Haftverschonung als „skandalös“. Christoph Oellers