Stummer Diener

■ Kleinkinder, die zu viel fernsehen, lernen später sprechen. Das hat soeben eine britische Langzeitstudie herausgefunden

Zugegeben, auch wir waren ein wenig irritiert, ja nachgerade erstaunt, als die Gesellschaft für Konsumforschung (GfK) ihr Zuschauerpanel zur Erhebung der TV-Einschaltquoten jüngst um die Zielgruppe Drei- bis Sechsjähriger erweiterte. Die jungen Menschen, so hatten wir in unserer Naivität angenommen, würden doch wohl kaum nennenswert auf die Top- Ratings des Tages Einfluß nehmen können. „Doch, doch“, wurde uns versichert, das „Kleinkinderfernsehen“ sei ein durchaus prosperierender Markt. Die Zeiten, als die „Sesamstraße“ und die „Sendung mit der Maus“ das TV-Monopol in Deutschlands Kinderstuben bildete, sei längst vorüber. Wir sollten uns nur einmal umschauen ... allemal bedenklich sei das. Aber gezählt werden müsse es dennoch.

Nun wurden wir ein weiteres Mal von der grausamen Fernseh- Realität und ihren schier unabsehbaren Folgen eingeholt. Eine englische Langzeitstudie förderte erschreckende Erkenntnisse zutage: „Fernsehkinder lernen später sprechen“! So jedenfalls meldete es uns am Mittwoch der Evangelische Pressedienst epd. Die britische Sprachforscherin Sally Ward habe festgestellt, daß „zu häufiges Fernsehen in der Familie die sprachliche Entwicklung von Kindern deutlich hemmt“. Babys lernten später sprechen als normal, noch im Alter von acht Monaten reagierten viele dieser Kinder nicht auf ihren Namen. Und Dreijährige, die viel fernsähen, hätten – so der wissenschaftliche Befund – das sprachliche Niveau von Zweijährigen.

Haben sie nun also doch recht, jene unermüdlichen Mahner, die das Fernsehen dafür verantwortlich machen, daß unsere Kinder durch den übermäßigen TV-Konsum passiv, süchtig, phlegmatisch und leistungsschwach werden? Daß sie nicht mehr wissen, wie man „Enzyklopädie“ schreibt, aber das Sat.1-Programmschema schon im Alter von vier Jahren lückenlos herunterspulen können? Ist das Fernsehen also doch böse?

Oder sind es nicht vielmehr die Eltern, die den TV-Apparat gerne als stummen Diener mißbrauchen, statt sich um ihre Nachkömmlinge in angemessener Weise zu kümmern? Mit Spannung warten wir auf das Ergebnis einer Langzeitstudie über Kinder, deren motorische Entwicklung um ein Jahr verzögert ist, weil ihre Eltern lieber ein gutes Buch lesen, statt mit ihnen auf den Spielplatz zu gehen. „Bücher-Kinder lernen später laufen“, müßte die Meldung überschrieben werden. Klaudia Brunst