Seht europäisch!

■ Eine große Mehrheit des Europaparlaments fordert, daß 50 Prozent der Fernsehprogramme europäisch sein müssen

Von einer drohenden „Diktatur der Bilder und der Ideen“ war die Rede, Europa müsse sich gegen den amerikanischen „Fernsehimperialismus“ wehren. So argumentierten die BefürworterInnen einer 50prozentigen Fernsehquote für europäische Werke am Dienstag im Europäischen Parlament – und setzten sich schließlich mit klarer Merheit (310 zu 202) durch. In dieselbe Kerbe hieb auch eine Abordnung europäischer RegisseurInnen, unter ihnen Konstantin Costa Gavras („Z“) und Fernando Solanas („El Sur“), die sich in Straßburg als LobbyistInnen übte.

Nicht ins melodramatische Bild eines US-europäischen Kulturkampfes paßte allerdings die eigentliche Ursache der starken US- Präsenz auf europäischen Mattscheiben. Deutsche ZuschauerInnen sehen nämlich einfach lieber amerikanische Soap-operas als solche portugiesischer Herkunft. Jedenfalls denken das die Programmverantwortlichen und kaufen lieber über dem großen Teich. Während mit den US-Schinken alle EuropäerInnen gleichermaßen aufgewachsen sind, erscheinen Darstellungsformen und Sehgewohnheiten der europäischen Partnerländer eher ungewohnt.

Bei der Einführung einer Mindestquote für europäische TV- Werke geht es also nicht um die Erhaltung der europäischen Kultur, sondern darum, erst einmal eine solche gemeinsame Fernseh- und Filmkultur zu entwickeln. Doch an die eigene Nase fassen sich die VerteidigerInnen des Abendlandes nicht so gerne. Bequemer ist es offensichtlich, gemeinsam auf die „Billigangebote“ aus Ami-Land zu schimpfen.

Die Sehgewohnheiten – immer noch national

Dabei hat die Quote diese Kulturkampfrhetorik eigentlich gar nicht nötig, da sie, rein ökonomisch betrachtet, durchaus Sinn macht – jedenfalls für Protektionisten. Denn die Wettbewerbsfähigkeit der europäischen Programmindustrie hängt in großem Maße davon ab, daß man nicht nur für den jeweiligen heimischen Fernsehmarkt produziert, sondern auch exportiert werden kann. Eine derartige Zweitverwertung der Programme in Europa war aber bisher gerade schwierig. Hier könnte die Euro- Quote für den entsprechenden Nachfragesog sorgen.

Nach Untersuchungen der EU- Kommission stellt eine 50-Prozent-Quote auch keine wirtschaftliche Überlassung der Fernsehstationen dar. Schon 1991/92 (die aktuellsten Zahlen, die die Kommission zu liefern in der Lage ist!) haben zwei Drittel der europäischen Sender mehr als 50 Prozent Euro- Spielfilme, Fernsehspiele und Dokumentarprogramme gezeigt (Nachrichten, Sport, Spielshows und Werbung nicht mitgerechnet). Die Sender selbst führen diese Entwicklung allerdings weniger auf die Quotendiskussion zurück als vielmehr auf eine „natürliche Marktentwicklung“. Um den Sehgewohnheiten zu entsprechen, müßten demnach vermehrt nationale (und nicht europäische!) Eigenproduktionen eingesetzt werden. In Deutschland lagen damals nur RTL (47 Prozent) und Pro 7 (34 Prozent) unterhalb der 50-Prozent-Quote.

Eigentlich gibt es die Euro- Quote schon seit 1989. Damals trat die EU-Richtlinie „Fernsehen ohne Grenzen“ in Kraft, die einheitliche Zulassungsbedingungen für TV-Anstalten festlegt. Rechtlich ernstgenommen wurde die Quote allerdings nie, da sie nur „im Rahmen des praktisch Durchführbaren“ einzuhalten ist. Diesen einschränkenden Zusatz wollte die EU-Kommission nun wegfallen lassen und wurde darin vom Europäischen Parlament (EP) unterstützt, das die „rechtliche Verbindlichkeit“ der Quoten sogar ausdrücklich im Text sehen wollte.

Quotenfreudig zeigten sich im Parlament vor allem SozialdemokratInnen und die französischen Abgeordneten jeglicher Couleur. Die ChristdemokratInnen um ihren Mediensprecher Karsten Hoppenstedt wollten die europäische Film- und Fernsehproduktion dagegen vor allem mit Hilfe von finanziellen Zuschüssen wie dem Media-II-Programm fördern. Welche Bedeutung diese von großem Lobbyaufwand beider Seiten begleitete EP-Abstimmung letztlich haben wird, ist noch unklar. Der Kulturministerrat der EU wird sich voraussichtlich im Juni wieder mit „Fernsehen ohne Grenzen“ beschäftigen. Alle bisherigen Signale deuten jedoch darauf hin, daß Frankreich in diesem Gremium mit seiner Quotenforderung weitgehend allein bleiben wird. Die anderen Regierungen, einschließlich der deutschen, sind dagegen eher auf Freihandelslinie.

Mindestquote auch für Video-auf-Abruf?

Damit stünden sich Rat und Parlament diametral gegenüber, es käme zu einem Vermittlungsverfahren, das der Rat jedoch einfach aussitzen kann, weil die Richtlinie mit der von ihm gewünschten wachsweichen Soll-Quote ja ohnehin bereits besteht. Für Bewegung im Rat könnte nur der Wunsch nach Änderungen in anderen Teilen der Richtlinie sorgen. So schlug das EP auch eine Regelung des Tele-Shoppings und eine Verbesserung des Jugendschutzes vor.

Gar nicht gefallen dürfte dem Rat allerdings ein anderer Beschluß des Parlaments. Als Fernsehen im Sinne der Richtlinie sollen künftig auch Video-auf-Abruf und andere Multimedia-Anwendungen definiert werden. Daß solche neuen Dienste auch der Euro- Quote unterworfen werden sollen, fand Hoppenstedt (CDU) besonders abwegig: „Wenn morgens nur amerikanische Filme abgerufen wurden, muß dann ab Mittag das Angebot auf europäische Streifen reduziert werden?“ Auch der zuständige EU-Kommissar Marcelino Oreja plädierte für die Beibehaltung des engen Fernsehbegriffs und versprach, daß die Kommission bis zum Jahresende ein Grünbuch über die „neuen Dienste“ vorlegen werde. Davon ungerührt setzte sich auch in dieser Frage die Koalition von SozialistInnen, Grünen und französischen Abgeordneten mit klarer Mehrheit durch. Christian Rath, Straßburg