"Die Mächtigen wollen an der Macht bleiben"

■ Die algerische Frauenrechtlerin Khalida Messaoudi wird von Islamisten bedroht und lebt seit drei Jahren im Untergrund. Die Wahl von General Zeroual zum Staatspräsidenten interpretiert sie als ei

taz: Am vergangenen Sonntag haben zwei Attentate in Algier über 20 Menschenleben gekostet. Präsident Liamine Zéroual hat in den letzten Wochen oft von einem „Restterrorismus“ gesprochen. Haben die Islamisten tatsächlich eine strategische Niederlage hinnehmen müssen, oder ist es eher so, wie die algerische Zeitung „Tribune“schreibt, daß der Frieden in immer weitere Ferne rückt?

Khalida Messaoudi: In der Tat haben die Islamisten eine Niederlage erlitten. Man darf nicht vergessen, daß die bewaffneten islamistischen Gruppen vor den Wahlen im vergangenen November gesagt haben, sie würden jeden töten, der zur Urne gehe. Trotz dieser Todesdrohungen und des alltäglichen Terrors gaben drei Viertel der Algerier ihre Stimme ab, während es vier Jahre zuvor unter friedlichen Bedingungen nur 52 Prozent waren. Politisch ist das für die „Islamische Heilsfront“ (FIS), die zum Wahlboykott aufgerufen hatte, eine Niederlage.

Und militärisch?

Auch militärisch. Immer mehr Dörfer verteidigen sich selbst...

...mit den Waffen, die ihnen die Armee gegeben hat.

Ja gewiß, aber auch mit ihren Jagdflinten. Für einen Bauern aus den Bergen des Aurès oder der Kabylei ist es undenkbar, keine Waffe zu haben. Diese Widerstandsbewegungen sind von den Bergen heruntergekommen und nähern sich nun den Städten. Die stärkste Gruppe des Widerstands steht schon 30 Kilometer vor Algier, bei Boufarik. Daß der bewaffnete Islamismus immer mehr auf die Taktik von Autobomben zurückgreift, zeigt, daß er die Verankerung in der Gesellschaft verloren hat und sich auf blinden Terror kapriziert. Aber heute kann ich in Algier wieder eine Versammlung abhalten, was zwar mit vielen Vorsichtsmaßnahmen verbunden ist. Heute kann ich wieder von Algier nach Boufarik fahren. Natürlich muß ich mich verschleiern und tarnen, weil ich zu bekannt bin. Vor einem Jahr aber war das unmöglich. Da gab es Checkpoints von bewaffneten Gruppen, die kurzen Prozeß machten.

Die Regierung bewaffnet nun im Kampf gegen den Islamismus die Zivilbevölkerung, die in ihrer Mehrheit wohl einfach in Frieden leben will. Droht damit eine Ausweitung der militärischen Auseinandersetzungen?

Ich bin in einem Dorf der Kabylei geboren. Dort gab es wie in allen Dörfern der Region keine Waffen von der Armee. Die Regierung hat der Kabylei (deren Einwohner nicht Araber, sondern Berber mit eigener Sprache sind, A.d.R.) immer mißtraut. Dann kamen eines Tages bewaffnete Männer, Islamisten. Sie haben Razzien gemacht, Geld verlangt, sich mit Waffengewalt ihre Nahrung besorgt, dann haben sie die Jagdflinten gefordert, das Schlimmste aber: Sie haben die Frauen genommen. Was bleibt da anderes übrig als die Verteidigung?

Wie erklären Sie sich, daß just vor der Präsidentschaftswahl im November zwei Wochen lang relativ Ruhe im Land herrschte und der Terror schon bald nach den Wahlen wieder weiter ging?

Es gab vor den Wahlen umfassende militärische Säuberungsaktionen, und die Bevölkerung hat sich gegen die Islamisten immer mehr zur Wehr gesetzt. Nach den Wahlen hat der neu gewählte Präsident Zéroual über tausend FIS- Häftlinge freigelassen. Die Staatsmacht war nur daran interessiert, die Wahlen durchzuführen. Dafür haben sie alle Mittel aufgeboten. Das war gut. Ich habe gehofft, sie würden weiter so präsent bleiben. Aber die Militärs haben die Wahlen nur als Farce begriffen, um ihren Kandidaten, den General Zéroual, wählen zu lassen. Der Rest interessierte sie nicht.

Nach der Unterbrechung des Wahlprozesses vor vier Jahren, die einem Militärputsch gleichkam, entstanden in Algerien zwei politische Lager: Die einen sagten, man muß mit der FIS, die die Wahl zweifellos gewonnen hätte, verhandeln und einen Kompromiß mit ihr finden. Die anderen, und zu ihnen werden auch Sie gezählt, sagten, man darf den Islamisten keine Konzessionen machen. Halten Sie heute, nachdem vermutlich 50.000 Menschen getötet wurden, diese Position noch aufrecht?

Ich werde nie mit einem Terroristen verhandeln, ob er nun Spanier, Deutscher oder Algerier ist. Nun geht aber die Krise Algeriens über die Frage des Terrorismus hinaus. Es bringt nichts, den Jugendlichen der bewaffneten Gruppen hinterherzujagen und die Verantwortlichen für die Krise nicht zur Rechenschaft zu ziehen. Wenn ich an der Macht wäre, würde ich all die Dinosaurier, die Mitglieder der alten Nomenklatura, im vollen Scheinwerferlicht vor ein Tribunal stellen. Es gibt in Algerien eine Frage von Freiheit und Demokratie zu regeln. Es geht um eine Frage des Vertrauens zwischen Bevölkerung und Staatsmacht. Die Staatsmacht in Algerien ist korrupt, ungerecht, willkürlich. Trotzdem kann nichts, absolut nichts, die Ermordung Zehntausender Zivilisten rechtfertigen.

Die Bulletins der algerischen Sicherheitskräfte sprechen täglich von zehn getöteten Islamisten hier, fünfzehn ausgeschalteten Terroristen dort. Verbirgt sich dahinter eine Strategie der Liquidierung von Menschen?

Wer wird da liquidiert?

Bewaffnete Islamisten, Jugendliche in der Regel, und auch Unschuldige.

Nein, so ist es nun wirklich nicht. Es gab viele Islamisten, die verhaftet wurden, dann vor ein Gericht kamen und freigesprochen wurden. Es gibt natürlich Übergriffe. Jede terroristische Logik führt zu einer Logik der Übergriffe und zu inakzeptablen Vorfällen. Aber es gibt keine systematische Liquidierung. Die ersten Hauptverantwortlichen für die Gewalt im Land sind auf jeden Fall die Chefs der Islamisten und die Chefs der islamistischen Internationale.

Finden Sie es trotzdem richtig, daß die Regierung das Gespräch mit den FIS-Chefs immer wieder gesucht hat?

Ich werfe der Regierung vor, daß sie diesen Dialog heimlich führt und die Algerier nicht erfahren, was da verhandelt wird. Ich habe ein Recht darauf, zu erfahren, was hinter meinem Rücken geschieht.

Muß man das Bündnis mit einer Armee akzeptieren, die jahrzehntelang die Macht im Land usurpiert hat, die korrupt und der die Demokratie fremd ist, um den Hauptfeind, den islamistischen Terrorismus zu schlagen?

Das ist nicht meine Argumentation. Ich gehe von einer Gesellschaft aus, die einen Staat hat, der sich aus Institutionen zusammensetzt. Unter diesen Institutionen gibt es die Polizei, die Gendarmerie, die Armee, die für die Sicherheit der Bürger und des Landes zuständig sind. Mir bleibt meine politische Arbeit. Ich kämpfe dafür, daß eines Tages in Algerien ein demokratisches System herrscht und diese Insitutionen, von denen ich gesprochen habe, zu republikanischen Insitutionen werden, die sich nicht in die Politik einmischen.

Würden Sie sagen, daß auch nach den Präsidentschaftswahlen die Macht nicht bei Zéroual liegt, der ja auch ein General ist, sondern bei der Armee?

Ganz gewiß bei der Armee. Ich hätte übrigens nie gedacht, daß die Mehrheit der Algerier Zéroual wählen würde. Gerade, weil Zéroual ein General ist. Ich habe gedacht, das Volk sei gegen die Armee. Nun hat also die Mehrheit den Helm gewählt.

Weil sie keine Alternative sah, schon gar nicht in Said Saadi, einem Kabylen, einem frankophonen westlichen Intellektuellen, dessen Sprecherin Sie waren.

Nein, wir, damit meine ich die ganze Linke, wir haben eine Ohrfeige erhalten. Wenn es Probleme der Sicherheit, eine physische Gefährdung gibt, stimmt das Volk für die starke Variante.

Salima Ghezali, Chefredakteurin der algerischen Wochenzeitung „La Nation“, schrieb jüngst (siehe „Le Monde diplomatique“ in dieser Ausgabe der taz) , daß selten eine so unpopuläre Macht es geschafft habe, sich so spektakulär als einzige Alternative zu Gewalt und Chaos zu präsentieren. Sie spricht von einem dramatischen Zerfall der Parteien, die im Volk verankert sind. Sehen Sie darin eine Gefahr oder eine Chance?

Seit wann ist die FLN (30 Jahre lang die Staatspartei im Einparteiensystem, A.d.R.) eine Partei? Sie war und ist ein Staatsapparat. Die FIS hingegen ist in der Tat eine Partei. Der FFS (sozialdemokratisch-laizistische Partei Ait Ahmeds, A.d.R.)ist zwar 1963 entstanden, im gleichen Jahr aber verboten worden. Ait Ahmed versuchte dann 1989/90 eine Wiedergeburt. Man kann also kaum von einem Zerfall der Parteien sprechen. Ich glaube, das Volk wird jene wählen, die Flugzeuge, Panzer und Waffen haben, um es zu schützen. Weder Mahfoud Nahnah (Chef einer gemäßigten islamischen Partei, die 25 Prozent der Stimmen erhielt, A.d.R.) noch Said Saadi (dessen republikanisch-laizistische RCD neun Prozent erhielt) konnten der Bevölkerung die Flugzeuge, Panzer und Waffen anbieten. General Zéroual konnte es.

Die „Tribune“ hat jüngst geschrieben, daß am heutigen Freitag möglicherweise der FIS-Führer Abbas Madani, der zu zwölf Jahren Gefängnis verurteilt wurde, entlassen wird. Der FIS- Hardliner Ali Belhadj hingegen soll weiter einsitzen. Jüngst haben 16 führende FIS-Mitglieder in einem Brief an Zéroual angekündigt, sie wollten zum Ende der Gewalt beitragen. Will Zéroual die FIS spalten und einen Teil in den Staatsapparat integrieren? Droht in Algerien gar eine sudanesische Lösung, eine islamistisch-militärische Herrschaft?

Ich glaube, eine sudanesische Lösung bleibt uns erspart. Der Sudan hatte das politisch-religiöse Personal, um einen islamischen Staat aufzubauen. Wir haben dieses Personal nicht. Aber eine Verständigung zwischen den Militärs und einem moderaten Flügel der FIS ist möglich und würde vor allem dem Internationalen Währungsfond passen. Es wäre ja eine Staatsmacht, die kein Streikrecht zulassen würde, keine gewerkschaftlichen Rechte, nichts. Ich glaube allerdings nicht, daß es zu dieser Allianz kommen wird. Die Armee ist nicht homogen. Da gibt es Clans. Und gerade diese innere Struktur der Armee hat das Projekt einer solchen Allianz, die Präsident Chadli Benjedid 1991/92 anstrebte, verhindert. Trotz der Stärke der FIS kam es nicht zu dieser Allianz, weil es in der Armee darüber keinen Konsens gab, und in der Gesellschaft erst recht nicht.

Die Militärs versuchen dennoch, mit Madani und einem Teil der FIS ins Gespräch zu kommen, offenbar, um einen Teil der islamistisch orientierten Basis ins politische Machtsystem einzubinden und vielleicht so den islamistischen Terror zu bändigen.

Es gibt Verhandlungen. Das ist sicher. Das Problem des Terrors kann so nicht gelöst werden. Die FIS kontrolliert die bewaffneten Gruppen längst nicht mehr. Bei allen Verhandlungen darf man nie vergessen: Die Mächtigen sind letztlich nur daran interessiert, an der Macht zu bleiben. Interview: Thomas Schmid