■ Die „Ehre deutscher Soldaten“ wird durch die fehlende Rehabilitierung von Wehrmachtsdeserteuren verletzt
: Soldaten waren Mörder – in ihrer ganzen blutigen Geschichte

Von allen legislativen Kröpfen der bundesdeutschen Justizgeschichte ist dieser der allerüberflüssigste – der von der christlich-liberalen Koalition ausgekungelte „Ehrenschutz für deutsche Soldaten“ in Form einer Erweiterung des Paragraphen 109 StGB in 109b – „Straftaten gegen die Landesverteidigung“(!). Die Aufregung hat Phantomcharakter. Wer heute behauptet, „Bundeswehrsoldaten sind Mörder“, disqualifiziert sich selbst. Hatten sie doch noch gar keine Gelegenheit zu beweisen, ob sich, im Falle eines Falles, solche unter ihnen befänden oder nicht. Und wollen wir das unsere tun, besser, die Politiker dazu zwingen, daß der nicht eintritt.

Ausgelöst wurde die Debatte bekanntlich durch das Tucholsky- Wort „Soldaten sind Mörder“, das sich auf einen geschichtserhärteten Katalog von uferlosen Beispielen beziehen kann. Und das lange bevor zwischen 1939 und 1945 Soldaten regulärer deutscher Verbände jenseits von Kriegshandlungen auf nie dagewesene Weise zu Mördern an Zivilisten wurden.

Also: Soldaten waren Mörder! Und ich wiederhole diesen Satz gleich noch einmal, weil er seltsamer Weise im Kontext derer, die sich so blauäugig stark machen gegen die These „Soldaten sind Mörder“, als vorsorgendes Alarmsignal überhaupt nicht auftaucht: Soldaten waren Mörder! – und das durch ihre ganze blutige Geschichte hindurch. Richtig, nicht die Soldaten, aber Soldaten. Richtig jedoch auch, daß Soldaten von Angriffsarmeen objektiv und a priori Mörder sind, und das vom ersten Schuß an, ob sie nun Uniformierte oder Zivilisten töten. Oder wie anders soll der deutsche Soldat, Kanonier oder Bomberpilot genannt werden, der am Morgen des 1. September 1939 beim Überfall auf Polen Mann oder Frau, Mädchen, Jungen oder Kind als erstem Opfer des Zweiten Weltkrieg das Lebenslicht auslöschte? Ich nenne ihn Mörder, weil er im Zuge eines verbrecherischen Angriffskrieges objektiv eine Mordtat begangen hat – deren Verantwortlichkeit selbstverständlich nach oben wächst.

Charakteristischerweise aber fehlen im Bürgerlichen Gesetzbuch Paragraphen, die diese quantitativ verheerendsten Tötungsakte unter Strafe stellen könnten.

Doch nach Lehren aus der Vergangenheit sollte bei den selbsternannten Verteidigern einer angeblich in unserer Gegenwart bedrohten Soldatenehre ohnehin nicht gefahndet werden. Denn einmal ganz abgesehen davon, daß die einschlägigen Paragraphen des Strafgesetzbuches Soldaten wie alle anderen BundesbürgerInnen ausreichend schützen vor Beleidigung und Ehrabschneidung: Laßt sie uns doch einmal näher besichtigen, diese Kreise, die vor lauter Beleidigungsphobie nicht einschlafen zu können vorgeben, allen voran der CSU-Abgeordnete und rechtspolitische Sprecher der Unionsfraktion im Bundestag, Norbert Geis, mit dem in einer Talkshow aufzutreten ich Ahnungsloser das selbst durch das opulenteste Honorar nicht wiedergutzumachende Pech hatte (es ging um Deserteure).

Entstammen viele dieser Protektoren der Ehre von Bundeswehrsoldaten nicht denselben Kreisen, die nie etwas anderes getan haben, als Hitlers mörderisches Angriffsinstrument Wehrmacht zu entnazifizieren und zu enthistorisieren, indem sie das Hauptinstrument zur Realisierung der nazistischen Eroberungs-, Unterdrückungs- und Vernichtungspläne von der politischen Schubkraft dahinter zu trennen versuchten („wertfreier Kampf“!)? Sind es nicht dieselben Kreise, die nach wie vor einer Traditionslüge huldigen, die aus der Erbmasse eben dieser Wehrmacht Bewahrungswürdiges für die Bundeswehr übernehmen zu können glauben? Die nicht nur niemals dagegen protestierten, daß hohe Nazimilitärs und nachweisliche Kriegsverbrecher zu Namenspatronen von Bundeswehrkasernen avancieren konnten, sondern die auch als die Initiatoren dieser bis heute völlig unzulänglich getilgten Schande gelten können? „Sorge um die Ehre des deutschen Soldaten“!

Wo war sie denn, die Sorge um das demokratische Bundeswehrbild, als die kriegsgerichtlichen Aufknüpfer von 13- und 14jährigen „Vaterlandsverrätern“ im allerletzten Stadium des Zweiten Weltkrieges, die Tschörner und Co., jene Wehrmachtsrichter, deren Urteile Zigtausende deutsche Soldaten das Leben kosteten, in den fünfziger und sechziger Jahren allesamt kollektiv entstraft wurden, indem nie Anklage gegen sie erhoben wurde? Von wegen „Ehre des deutschen Soldaten“!

Die da angeblich so sehr um sie bangen, sind dieselben Kreise, die seit Jahr und Tag, über die ganze Nachkriegsstrecke hinweg bis in unsere Gegenwart, den Deserteuren der Hitlerwehrmacht notorisch die Ehre abschneiden, sie sozial ächten, moralisch diskreditieren und gnadenlos zugesehen haben, wie inzwischen die meisten von ihnen bemakelt und unrehabilitiert ins Grab gesunken sind. Nein, diesen Leuten glaube ich kein Wort, kein Jota ihrer penetrant hervorgekehrten Sorge um die Ehre der Bundeswehr. Ihnen geht in Wirklichkeit es um etwas ganz anderes.

Bedroht ist nicht das Gemütskorsett des Bundeswehr-Muschiks und seiner Vorgesetztenriege durch nichtmilitärische Feinde. Bedroht ist erstens: ein Bundesverfassungsgericht, das verdienterweise mit einigen seiner letzten Sprüche die Phalanx einer Law- and-order-Mentalität aus der Reserve hervorgekitzelt hat, die Otto Schily während der Debatte im Bundestag hinreißend präzise als „unausrottbare Sehnsucht nach dem Obrigkeitsstaat“ demaskierte.

Und bedroht ist, zweitens: das hohe Grundgut unserer journalistischen und publizistischen Existenz, die Verfassungswirklichkeit Meinungsfreiheit, deren Kostbarkeit nicht erst nach ihrer Einschränkung oder gar Aufhebung erkannt werden sollte.

Leute – seid auf der Hut! Ralph Giordano