Hahnengeschrei

■ Ethnokitsch als Patriarchenschmonzes: Goran Paskaljevic' "Paradies, Brooklyn" sucht die falsche Schönheit der Armut

Daß Baustellen mitunter eigenen Charme entwickeln, ist so ziemlich die einzige ästhetische Einsicht, über die Goran Paskaljevic verfügt. Jedenfalls beginnt „Paradies, Brooklyn“ auf einer Baustelle in optisch recht privilegierter Lage. Nette arme Ausländer ohne Greencard, also Männer, die ausgebeutet werden, plaudern entspannt am Rande des East River auf der Seite von Brooklyn, dort also, wo der Blick auf Manhattan rein zufällig ganz besonders prächtig ist.

Sie verzehren ein ebenfalls prächtiges Sandwich. Die Sonne scheint auf ihre kakaubraunen Glatzen und schwarzen Stoppelbärte. Hier interessiert sich ein Regisseur für die Pause zwischen harter Arbeit und innerhalb der Pause für die gelungene Kommunikation von Männern, die – wie gesagt – arm dran sind und dennoch nicht verzagen. Gerade das sollen wir schön finden.

„Paradies, Brooklyn“ wurde von einem Belgrader gemacht, mehrere Hauptrollen werden von Belgradern beziehungsweise in Belgrad Lebenden gespielt, der Drehbuchautor unterrichtet an der Kunsthochschule in Belgrad (er hat unter anderem für Emir Kusturica gearbeitet). Kurz, „Paradies, Brooklyn“ hat einen serbisch dominierten Entstehungskontext. Dennoch – und das ist das Erstaunliche – wird der Krieg im ehemaligen Jugoslavien mit keiner Silbe erwähnt.

Über das Brooklyner Trottoir defilieren orthodoxe Juden, doch mehr als dekorative Zwecke erfüllt das nicht. Ebenfalls dekorativ: die asiatische Familie, die staunend den beiden Männerhelden Bayo (Miki Monojlovic) und Alonso (Tom Conti) dabei zusieht, wie sie sich fast verprügeln. Natürlich nur fast: Mensch sein nicht böse. Wenngleich aus Montenegro („Ich sein aus Montenegro“), formuliert Bayo eine wohl eher serbische Idee: „wir gewinnen, und am Ende haben wir nichts“, und: „Ich schlage niemals einen Mann, der schwächer ist.“ Das sollen wir lustig finden.

Paskaljevic weiß offenbar, daß das Stichwort Multikulturalismus das Geld der Filmförderungen zum Fließen bringt. Jedenfalls war das Förderungsprogramm „Eurimages“ willig, ebenso der Film Fonds Hamburg und das Hamburger Filmbüro. Möglich auch, daß hier ein Film begünstigt wurde, bei dem der Name Kusturica indirekt im Spiel ist. Dem Okzident mag Sarajewo inzwischen symbolisch als einstmals praktizierter Multikulturalismus gelten; der Serbe Paskaljevic siedelt solche Phantasien, bigott gewendet, in Brooklyn an. Ebenso schamlos wie naiv verheizt er Versöhnungsideologeme.

Dabei gleicht das dramatische Niveau dem des Schülertheaters. Das sieht man zum einen an den plumpen Leitmotiven, zum anderen an dem – peinlich ins Deutsche synchronisierten – Pidgin-English, mit dem das Filmpersonal sich verständigt. Hier ist dann alles möglich, ohne Berücksichtigung des Wahrscheinlichen: Komplizierteste Wortwahl mischt sich mit falschester Grammatik.

Ja, ein kleines bißchen nachvollziehbare Psychologie wird uns durchaus geboten. Bayo lebt in einer ärmlichen Kammer bei Alonso, der als Vermieter, Freund-in-der-Not und Arbeitgeber auftritt. Alonso besitzt nämlicheine heruntergekommene Kneipe namens „Paradies“. Richtig, daher der Filmtitel! Bayo dagegen besitzt nur einen Hahn, an dem er hängt. Der Spanier Alonso wiederum hat eine blinde Mutter (Maria Casares), die an diesem hängt – und die bald stirbt, um einer anderen, jetzt montenegrinischen Mutter Platz zu machen. An dem Mann mit Hahn hängt nämlich noch ein ganzer Clan, der mal eben aus der fernen Heimat (wo noch die Naturschönheiten regieren, bestehend aus Ziegen, Brunnen, Akordeonspielen und Tanzen) angereist kommt, weil das Töchterlein des rauhen Bayo nicht mehr schlafen kann.

Bedauerlicherweise geht bei der illegalen Einwanderung über den Rio Grande sein Lieblingssohn Pedro verloren, während der ungeliebte Sohn Luka sich blendend in Amerika zurechtfindet als Lausejunge. Natürlich interessiert ihn vor allem eines – Geld. Seine schlimmste Tat: Vaters Hahn beim Hahnenkampf einsetzten zu wollen.

Das alles zerbräche wohl das Herz des Patriarchen-Papas, wenn dieser nicht – zum Schlusse, in einer Wolke aus Schneeflocken – abheben würde in den Himmel über New York. Motto des dummen Märchens: Alles wird gut, und keiner ist schuld an irgendwas. Ina Hartwig

Paradies, Brooklyn“ von Goran Paskaljevic. Drehbuch: Gordan Mihic, Kamera: Yorgos Arvanitis, Darsteller: Tom Conti, Miki Manojlovic, Maria Casares, Sergej Trifunivic und andere, 91 Minuten