Leipzigs neue Drive-in-Messe

Für 1,3 Milliarden Mark entstand am Rand der alten sächsischen Handelsmetropole ein hypermodernes Messegelände. Heute wird es eröffnet  ■ Aus Leipzig Toralf Staud

„Ich suche etwas“, steht an der Glasfassade im Atrium des Verwaltungsgebäudes der Neuen Leipziger Messe. „Ich suche etwas, und jetzt will ich es haben.“ Mit schwarzen Folienbuchstaben hat der Kölner Thomas Locher seine Verse an die gläsernen Wände des Lichthofes im Mittelpunkt des Verwaltungstraktes geklebt. Im Rahmen eines Kunstprojektes haben er und über 20 Künstler aus aller Welt auf dem Ausstellungsgelände ihre Spuren hinterlassen. Der Text von Locher klingt stellenweise wie die heimliche Hoffnung der Stadt Leipzig: Sie will mit dem 1,3 Milliarden Mark teuren Neubau wieder in die Spitzengruppe der deutschen Messeplätze aufrücken. Dazu wurde in Rekordzeit – zwischen erster Idee und Einweihung vergingen nur fünf Jahre – ein imposantes Ensemble an den nördlichen Stadtrand geklotzt. Vor allem grau und hypermodern ist es, aus Glas, Stahl und Naturstein errichtet, kühle Noblesse austrahlend. (Mit der Architektur wird sich ein Artikel auf den taz-Kulturseiten am kommenden Montag beschäftigen.)

Jeder Messestand ist per Glasfaserkabel erreichbar, das Gelände verfügt über ein eigenes Funktelefonnetz, die 6.000 Parkplätze sind über eine eigene Autobahnabfahrt erreichbar. „Es soll Spaß machen, sich im neuen Messegelände zu bewegen“, meint Geschäftsführerin Cornelia Wohlfarth.

Ob jedoch die Hallen in absehbarer Zeit ausgelastet werden können, ist unsicher. Die Zeit der weltweit bedeutenden Frühjahrs- und Herbstmessen endete 1989, als Tür im Eisernen Vorhang wurde Leipzig fortan nicht mehr gebraucht. Die Besucher- und Ausstellerzahlen stürzten in den Keller. Die Gründung von Fachmessen war schwierig, ein Konzept hatte man nicht und Nischen gab es kaum, weil die westdeutsche Konkurrenz vierzig Jahre Zeit gehabt hat, den Markt unter sich aufzuteilen. Abgeben wollte niemand. Daß die Deutsche Messe AG in Hannover nach dem Krieg ausdrücklich als Provisorium gegründet wurde, „bis Leipzig wieder zur Verfügung steht“, interessierte nicht.

Die Messe drohte zu sterben. Damit wäre auch die Stadt angeschlagen gewesen, denn Messe und Leipzig gehören zusammen wie Hamburg und sein Hafen. Die Industrie der Region hatte die „Wende“ ohnehin nicht überlebt, von einst 100.000 Industriearbeitsplätzen blieben nicht einmal 15.000. So wurde die Entscheidung für den Neubau 1991 „allein aus politischer Verantwortung getroffen und erst im zweiten Schritt durch die Frage nach dem Marktpotential legitimiert“, gibt auch Wohlfarth zu. Noch über Jahre wird die Messe Verluste einfahren. Knapp 40 Millionen Mark waren es 1995, bei einem Umsatz von knapp 92 Millionen Mark.

Doch der Neubau sei die einzige Chance gewesen. Eine Sanierung des siebzig Jahre alten Messegeländes am Völkerschlachtdenkmal hätte kaum weniger gekostet, und die schlechte Verkehrsanbindung wäre geblieben. Das neue Areal liegt direkt an der Autobahn, der Flughafen ist eine Viertelstunde entfernt. Unklar sei auch gewesen, ob die Aussteller jahrelang aufeine Baustelle zur Messe gekommen wären – und nicht zuletzt wollte man weg vom alten DDR-Muff und den weltweiten PR-Effekt einer glamourösen Neueröffnung nutzen.

Ihre in 40 Jahren aufgebaute Ost-Kompetenz, so hofft die Messe, kann ihr keiner der westdeutschen Konkurrenten nehmen. Vor allem in den Branchen Bauen, Umwelt, Mobilität und Medien will man sich profilieren. Mit der Buchmesse und der Auto Mobil International verfügt Leipzig bereits über zwei Spitzenmessen, sie sind jeweils die zweitgrößten in Deutschland.

Doch der Bau des neuen Geländes fand nicht nur Freunde. Vor allem Bündnis 90/Die Grünen im Stadtparlament waren dagegen. Sie verwiesen auf den Landschaftsverbrauch des 986 Hektar großen Geländes, ein ökologisch wertvoller Magerrasen und eine alte Birnenallee verschwanden darunter. Auch städtebauliche Argumente führten sie ins Feld. Den Verkauf der prachtvollen Innenstadt-Messehäuser, mit dem der Neubau zum Teil finanziert wurde, halten sie für eine Sünde, die man in einigen Jahren bereuen werde.

Der Messemoloch an der Peripherie, so befürchten die Bündnisgrünen, werde die Stadt verarmen lassen. Er sei das Rudiment einer veralteten Stadtplanung, die alles immer perfekter haben will und dabei die urbane Qualität aufgibt. „Eine Messe, so menschlich wie ein Drive-in-Kino“, schreibt das Hamburger Architektenjahrbuch über das neue Leipziger Gelände. „Wie ein Tagungshotel am Airport (manche mögen das). Unübertroffen effizient. Die Stadt mißachtend. Die Zukunft aus der Retorte. Altes Denken.“

Die Messegesellschaft will sich ihren Optimismus nicht nehmen lassen und jubelt über das „größte Aufbauprojekt der neuen Bundesländer“. „Was du dir auch wünschst, du mußt nur daran glauben, dein Wunsch wird erfüllt werden“, dichtete Thomas Locher an den Glasfassaden des Atriums im Verwaltungsgebäude. Sein Text endet: „Ich werde etwas bekommen, aber ich weiß nicht, was es sein wird.“