Spuren von Krieg und Kahlschlag

Modellfall Monument, Formfalle Skulptur: Die Münchner Ausstellung „Spaced Out. Artist/Architects“ führt durch die dekonstruktivistischen Jahre einer Architekturkunst, die das Denken dem Bauen und Wohnen vorzieht  ■ Von Jochen Becker

Die Kollektion meidet banale Wettbewerbsmodelle. Vielmehr widmet sich die Sammlung zeitgenössischer Architektur des FRAC Centre in Orléans „Werken“, die „ein Reservoir ästhetischer Ideen verkörpern“. Entsprechend wurde sie zur Münchner Ausstellung um Arbeiten von KünstlerInnen erweitert. Dabei drängen formale Kriterien weiterführende Fragen nach lokalem Kontext, Ökonomie oder sozialräumlichen Auswirkungen des Gebauten ins Abseits. Bildende Kunst und Architektur scheinen laut Frédéric Magayrou vom FRAC Centre „mehr als je zuvor dem gleichen ästhetischen Bereich anzugehören“ und gehorchten somit einer „Logik der Gestaltung“. Das vom Münchner Kunstverein und ihrem neuen Direktor Dirk Snauwaert konzipierte Gastspiel mit aufgesockelten Plastiken/Modellen unter der Glashaube und gerahmten Skizzen/Grafiken/Fotografien folgt dieser ästhetisch geleiteten Logik weitgehend. Es bleibt bei der Anordnung eines biederen Indoor-Skulturenparks mit miniaturisierten Monumenten.

Die Teilhabe am neuen Internationalen Stil: „Spaced out. Artist/ Architects“ signalisiert in Titel und Untertitel, Werkliste, Präsentation und Leihgeberschaft, daß die Exponate ihrer spezifischen Lokalisierung enthoben sind. Die Beispiele einer seit den siebziger Jahren international in Kunsthallen und Zeitschriften zirkulierenden KünstlerInnenarchitektur beziehungsweise ArchitektInnenkunst verstehen sich als „Denkmodelle“. Doch die Spuren dieser Entwicklungsarbeit – vergleicht man sie mit Developer-Architektur von der Stange – werden getilgt: Da kaum etwas tatsächlich realisiert wurde, artikulieren sich diese zwischen Modellbau und Dekonstruktion angelegten „Werke“ in der Art ihrer Präsentation. Durch Praxis weitgehend ungeprüft, spekuliert dieses Genre auf Ausstellungen, Sammlungen und „progressive“ Architekturmagazine weit eher als auf konkreten Grund und Boden. Im Vordergrund stehen Arbeitsstudien, auf Hintergrundmaterial zum Entwicklungsprozeß meint die an Gestalt orientierte Ausstellung verzichten zu können. Auch die summarisch beigefügte Publikation hilft da nicht weiter.

Eines der ersten Exponate im Eingangsbereich des Kunstvereins ist ein Video des 1994 gestorbenen Künstlers Absalon, der innerhalb seiner asketisch weiß gestrichenen Ein-Mann-Behausungen Klausur und Rückzug, Selbstisolation und Vereinzelung als Modellfall durchexerzierte. Eines der frühesten Exponate stammt von Claude Parent und dem nunmehr als Techno-Philosoph bekannten Paul Virilio. Das Architektenduo nahm für seinen 1966 entwickelten Entwurf einer Kirche in Nevers die abgerundeten Wehrmachtbunker an der französischen Atlantikküste zum Vorbild. Zwischen Fantasy-Expressionismus von Coop Himmelblau bis Zaha Hadid oder dem wie ein Mikadospiel hingeworfenen Firmensitz von Apple Frankreich in St. Quentin-en-Yvelines, jenseits von Rodney Grahams monumentaler „Cappuccino Bar“ oder Bernhard Tschumis Parkhäuschen „Folie Sous-Marin“, finden sich nur wenige konzeptuelle Ansätze. Hermann Pitz bastelte 1992 aus 10.000 Reichsmark-Scheinen faustgroße Häuschen mit Spitzgiebeln, Mansarden und Schornsteinen. Das „Pièce de Monnaie“, auf einem Brett bauchhoch im Treppenhaus angebracht, erzählt von Wirtschaftskrise, Inflation und Kapitalflucht in Immobilien, während die solitär stehenden Häuschen – vormals in Blockrandbebauung eingebunden – Spuren des Krieges und der anschließenden Kahlschlagsanierung aufzeigen.

Erschreckend monumental wirkt auf den ersten Blick Thomas Schüttes „Modell für ein Museum“ von 1982, das in der postmodernen Bildsprache der Architekten Aldo Rossi oder Robert Venturi & Denise Scott Brown grobe Klötzchen und goldenen Doppelschornsteinen übereinanderstapelt. Doch das Pathos bröckelt wie die durch schlechte Lagerung spröde gewordene Lackierung. Den aufgebockten Tisch mit gelber Filmdecke rahmen zwei Bildtafeln, die drei Kamine oder Brennkammern von Krematorien und Details des bedrückenden Eingangs zeigen, durch den sich zwei geduckte Gestalten schleppen.

Postmoderne als Befreiung von Historie und Vergangenem zelebrieren sowohl das Architektenduo Ventur/Scott Brown in ihrer systematischen Untersuchung „Lernen von Las Vegas“ als auch Ed Ruscha mit seinem schon 1967 erschienenen konzeptuellen Künstlerbuch „Thirtyfour Parking Lots in Los Angeles“. Vom Flugzeug aus dokumentiert er die autogerechte Architektur anhand der Parkplatzarrangements von Stadien und Shopping-Centern. Ebenfalls im Schaukasten auf dem Treppenabsatz findet sich in Form einer farbkopierten Bild- und Textstrecke Robert Smithons Diavortrag „Hotel Palenque“. Durch die ruinenhaft brachliegende Baustelle führte er seine ZuhörerInnen in einem detailbesessenen Vortrag. Von Dan Graham wurde bezeichnenderweise nicht seine Untersuchung der Corporate Arcadias in Manhattan ausgesucht, sondern die formalere Studie zu standardisierten Vorstadthäusern und den aus reproduzierbaren Modulen zusammengefügten Siedlungsformen. Das mehr als zehn Jahre später entworfene Projekt „Video Projection Outside Home“ sah vor, vor jedes Haus einen großen Bildschirm an den Straßenrand zu stellen. Passanten und Autofahrer sollten darauf verfolgen können, welches Fernsehprogramm drinnen gerade gesehen würde: Suburbia – soweit Grahams resignativer Ansatz – existiere nur mehr als vom TV-Konsum zusammengehaltene Streusiedlung.

Die Utopie des Designs ist in die Jahre gekommen; das Modell des städtebaulichen Entwurfs von Rem Koolhaas zur Entwicklung des Pariser Bürokomplexes La Défense wirkt angestaubt und ranzig. Das im Begleittext erwähnte „Chaos der Verkehrsverbindungen, Plattenbauten und Industrieanlagen, Einkaufszentren und Freizeitanlagen“ kommt in der gesamten Ausstellung allenfalls als expressive Geste vor. Ansonsten regiert die ordnende Hand der Düsseldorfer Akademieschule, wenn etwa die Becher-Klasse (Hilla und Bernd Becher, Ruff, Struth) menschenleere Zweckgebäude großflächig auf Fotos fixiert, oder Modellbauer wie Gerdes, Luy und Schütte in zumeist verniedlichender Form die postmoderne Formensprache reproduzieren. Von Tadashi Kawamata, der an konkreten Modellen für Notunterkünfte oder Randbehausungen arbeitet, findet sich hier nur eine wie vom Taifun gekippte Ummantelung eines Kunstraums.

„Der Blick wird permanent nur auf die ökonomischen, politischen und adminstrativen Entscheidungen, durch die Architektur zustande kommt, gerichtet“, vermerkt die namentlich nicht gekennzeichnete Einleitung in der Ausstellungszeitung. Wo jedoch über das klassische Kunstformat hinaus die neuartige Gestalt zu entdecken wäre, bleibt „Spaced Out“ jenseits vereinzelter Nischen schuldig. Die Ausstellung hält eine summarisch angelegte Rückschau auf die formalen Schnittmengen von Kunst und Architektur, die in den achtziger Jahren ihren Höhepunkt erreicht hatte, ohne hierbei spezifische Interessen oder Perspektiven zu formulieren. Eine analytische Sichtung oder Institutionskritik sucht man vergebens.

Bis 19. Mai, Kunstverein München. Die Ausstellung begleitet eine Broschüre in Zeitungsformat