Die Tage des Radovan Karadžić sind gezählt

■ In der serbischen Teilrepublik Bosniens ist der Kampf um die Macht entbrannt. Die Sozialistische Partei möchte die Ära Karadžić beenden – mit Hilfe aus Belgrad

Banja Luka (taz) – „Was in Banja Luka geschah, kann erklärt, aber nicht gerechtfertigt werden“, sagt Dragutin Ilić, der Vorsitzende der Sozialistischen Partei der Republika Srpska (SPS). Ein Ölporträt Slobodan Milošević' dominiert den Raum. Machtbewußt richtet sich der scharfe Blick des serbischen Präsidenten auf seinen Vertreter im serbisch dominierten Teil Bosniens. Der Mann Milošević' geht zu den Nationalisten auf Distanz. Sogar Kritik wird hörbar: „Ich bin nicht derjenige, der ja sagt zu den Taten, die viele aus meinem Volk begangen haben.“

Der in einen tadellos sitzenden grauen Anzug gekleidete Herr mit sorgfältig gekämmtem grauen Haar gehörte zu Beginn des Krieges keiner politischen Partei an; als Chefarzt des Krankenhauses von Banja Luka weigerte er, der Serbe, sich, Muslime oder Kroaten zu entlassen, obgleich in Zagreb serbische Ärzte von den Kroaten entlassen wurden. Er sei damals von serbischen Nationalisten angegriffen worden, daß er „Ustascha“, Faschisten, heile. Seine Antwort: Im Krankenhaus gebe es keine „Ustascha“, keine Partisanen, im Krankenhaus seien alle nur Patienten.

Der Mann Miloševićs in Bosnien residiert in einem kleinen Parteibüro in einem ehemaligen Firmengebäude in Banja Luka. Bereits im Juni 1993 gründete Ilić, der während der „ethnischen Säuberungen“ in Banja Luka lebte, die Sozialistische Partei, halb illegal, wie er sagt. Jede politische Stellungnahme, die sich gegen Karadžić und dessen Partei, die SDS, gerichtet habe, sei damals lebensgefährlich gewesen.

Heute sind die „ethnischen Säuberungen“ beendet; von den 60.000 Katholiken und Muslimen Banja Lukas sind noch rund 7.000 übriggeblieben. „Präsident“ Karadžić verbirgt sich nach Angaben des UNHCR in der Fabrik „Koran“ in Pale bei Sarajevo; seine Stellvertreterin Biljana Plavsić residiert hingegen weiterhin im Zentrum von Banja Luka.

Die Schuld am Krieg gibt Ilić allen drei Nationalparteien. Der SDS Karadžić', der HDZ Tudjmans, der SDA Izetbegović' – jede ethnische Gruppe habe die Herrschaft über die andere gewollt. Ilić präsentiert sich als Anwalt der unschuldigen Zivilbevölkerung und des „unglücklichen Bosnien“: Die Bürger habe keiner gefragt.

Die „Säuberungen“ erklärt er als Aktionen krimineller Gruppen, Paramilitärs, die aus Profit, nicht aus politischen Gründen die allgemeine Situation und das politische Klima ausnutzten und Kroaten und Muslime vertrieben – die reichen Leute, nicht die armen, wie er hinzufügt: Restaurant- und Cafébesitzer, Eigentümer von Schmuckgeschäften und guten Wohnungen.

Karadžić habe dem Volk immer gesagt, die ganze Welt sei gegen die Serben. „Alle ehemaligen Freunde waren nun Feinde. Nur er war der Freund. Er hat uns den Kopf verdreht. Jetzt haben die Menschen verstanden. Deswegen wird Karadžić vor einem Volksgericht enden.“ Wenn Karadžić sich aber in Den Haag verantworten müsse, so könne er dies noch ausnutzen, sich zum Opfer und zum Helden machen – und wäre nicht der, „der schuldig ist für das gesamte Leiden des Volkes“.

Aber handelten Karadžić und sein General Ratko Mladić denn auf eigene Faust? Erhielten sie nicht Unterstützung aus Belgrad, vom serbischen Präsidenten Milošević? Ilić' Augen sind zusammengekniffen.

Er wehrt ab, weist jegliche Schuld Belgrads zurück. „Wer kann jetzt darüber sprechen, daß die Jugoslawische Volksarmee in Mostar ein paar Gebäude zerstören ließ, wo hernach dann Kroaten und Muslime die ganze Stadt zerstört haben? Niemand spricht über diesen kleinen Schaden, wenn später ein so viel größerer geschieht. Deswegen kann ich nicht akzeptieren, daß Präsident Milošević ein Krimineller ist, ein Mensch, der den Krieg wollte.“

Ilić rühmt vielmehr die Einhaltung der Genfer Konventionen durch die Offiziere der Jogoslawischen Volksarmee. Von den in Den Haag wegen der Eroberung des ostkroatischen Vukovar angeklagten Belgrader Offizieren scheint er nichts zu wissen. Und weiter sagt er: Präsident Milošević habe nicht Großserbien gemeint, als er forderte, alle Serben sollten in einem Land leben. Er habe nur das ehemalige Jugoslawien behalten wollen, in dem alle Serben, Kroaten und Muslime zusammenlebten.

„Falls Milosević Fehler gemacht hat und für etwas verantwortlich ist, dann müßte er als Politiker, dem das serbische Volk in Serbien und in Bosnien am meisten glaubt, einen Weg finden, Karadžić und die anderen abzusetzen, die auf eigene Faust gehandelt haben.“

Der Parteivorsitzende Ilić präsentiert Erfolgsmeldungen seiner Partei, Zuversicht für die Wahlen. Seine Partei sei die bestorganisierte Partei in der Republik; sie zähle bereits 33.000 Mitglieder. „Je mehr wir von der Regierung Karadžić angegriffen werden, desto mehr Sympathien erhalten wir.“ Der Partei Karadžićs wirft er terroristische Aktionen vor. Doch die SPS antworte nicht darauf, die heutige Regierung solle nur durch Wahlen wechseln. Ilić ist sich sicher, daß Karadžić' SDS bei den Wahlen verlieren wird. In Banja Luka heißt es, daß viele jetzt aus Karadžić' Partei in die SPS des Dragutin Ilić überwechseln. Johannes Vollmer