Fensterstreit

■ Wie soll im Rundfunkstaatsvertrag die Meinungsvielfalt gesichert werden?

Welchen Anteil aller Fernsehzuschauer darf ein Unternehmen beherrschen, bis es für die Meinungsvielfalt gefährlich wird? Im März haben sich die Ministerpräsidenten der Länder geeinigt: Bei 30 Prozent Marktanteil fängt das an, was sie im Juristendeutsch „vorherrschende Meinungsmacht“ nennen. Unter Umständen auch etwas früher, falls nämlich das Unternehmen noch bei Printmedien, im Filmgeschäft oder auf anderen „verwandten Märkten“ aktiv ist. Doch was genau passieren soll, wenn ein Unternehmen an diese Grenze stößt, das muß noch in die Paragraphen eines Staatsvertrages gegossen werden. Dafür haben sich die Rundfunkreferenten der 16 Staatskanzleien in letzter Zeit wöchentlich getroffen und jetzt einen Entwurf vorgelegt.

Nach der geplanten Fusion der Bertelsmann-Tochter Ufa mit der Luxemburger CLT verfügt der neue Fernsehriese über rund 27 Prozent des deutschen Zuschauermarktes (RTL, RTL2, Vox, premiere). Noch ein bißchen Wachstum, und die „Konzentrationsermittlungskommission“ könnte dem Unternehmen „vorherrschende Meinungsmacht“ bescheinigen. In diesem Fall müßte die Ufa-CLT so lange Beteiligungen an Sendern aufgeben, bis ihr Zuschaueranteil auf unter 30 Prozent fällt. Doch hebelt schon der folgende Satz des Referentenentwurfs diese Verpflichtung aus: Sie „entfällt, wenn zur Sicherung der Meinungsvielfalt Maßnahmen nach §7 ergriffen werden“. Und der Paragraph 7 nennt zwei Maßnahmen: „Die Einräumung von Sendezeit an unabhängige Dritte“, und zwar „3 Prozent der wöchentlichen Sendezeit des Hauptprogramms“; zum anderen die Einrichtung eines Programmbeirats.

Hans-Dieter Drewitz, Rundfunkreferent in der rheinland-pfälzischen Staatskanzlei, die die Rundfunkpolitik der Bundesländer koordiniert, ist mit dieser Regelung zufrieden, denn: „Die Ministerpräsidenten waren sich einig, daß Entflechtung nicht das Ziel sein soll.“ Anders sein Kieler Kollege Matthias Knothe. Er betont, der Vorschlag sei noch längst nicht Konsens, nicht nur sein Land, sondern auch noch mehrere andere hätten nicht zugestimmt, daß Abtretung von Sendezeit oder Programmbeirat wahlweise an die Stelle von Entflechtung treten können. Beim Programmbeirat stelle sich auf jeden Fall die Frage, ob er nicht „eine Luftnummer“ sei, wenn – wie vorgesehen – seine Beschlüsse mit den Stimmen von 75 Prozent der Gesellschafter ad acta gelegt werden können. Die Ufa dagegen kann „mit diesen Vorschlägen leben“, sagt Hans-Roland Fäßler, der bei der Bertelsmann-Tochter für Medienpolitik zuständig ist.

Für ihn ist ein anderer Streitfall im künftigen Rundfunkstaatsvertrag problematischer. Alle Sender, die mehr als zehn Prozent Marktanteil haben, müssen nämlich, so haben die Ministerpräsidenten beschlossen, Fensterprogramme für „unabhängige Dritte“ einrichten. So wie heute schon RTL, das aber seinen ungeliebten „Parasiten“ Alexander Kluge, wie ihn Helmut Thoma nennt, mit seinen Kulturprogrammen längst wieder loswerden möchte. Akzeptabel findet Fäßler immerhin eine der Alternativen fürs Fensterln, die in dem Referentenentwurf genannt werden: eine „fixe wöchentliche Sendezeit; eine Stunde in der Haupt- (18 bis 23 Uhr, d. Red.) und 2 Stunden in der übrigen Sendezeit“. Andere Vorschläge wollen, daß zwischen zwei und fünf Prozent der Zeit abgegeben werden.

Strittig wird vor allem das Verfahren sein. Soll der „unabhängige Veranstalter“ von den Medienanstalten eine eigene Lizenz erhalten? Das gäbe ihm eine stärkere Stellung, als den Sendern lieb sein kann. Oder wird nur eine „Vereinbarung zwischen Hauptprogramm- und Fensterprogramm- Veranstalter“ geschlossen? Die Kompromißlinie dürfte den Medienanstalten zumindest eine Vorauswahl zugestehen. Sonst könnte schließlich die holländische Endemol, großer, aber konzernunabhängiger RTL-Zulieferer für Shows wie „Traumhochzeit“, auch als „Fensterprogramm“ durchgehen. Michael Rediske