Aus Tanten werden Popstars

■ Ein öffentlich-rechtliches Jugendradio ist anscheinend erst dann richtig hip, wenn man nicht merkt, daß es ein öffentlich-rechtliches Jugendradio ist

Das Konzept war revolutionär, wenn auch nicht sehr originell: Als Thorsten Engel und Henry Gross vor zwei Jahren ihre öffentlich- rechtliche Jugendwelle N-joy (NDR) bauten, machten sie einfach alles so, wie sie es beim Kommerzfunk gelernt hatten. Sie gaben ihrem Radio wenig Worte, die schnell und kieksig waren, und viel Musik: drei Viertel aus den Charts, denn sie wollten abspielen, was schon erfolgreich war, nicht erst Erfolge machen. Ein großer digitaler Kasten wacht seit April 94 darüber, daß der vorgegebene Rhythmus nie durchbrochen wird. Und schließlich wurde sogar den ARD- Korrespondenten beigebracht, ihre durchhasteten Beiträge für die knappen „News“ mit einer schmackigen Senderkennung zu beenden: „N-joy-Rääidi-o“.

Denn niemals sollten die jungen Hörer erfahren, wer der Urheber des Senders war: jene alte Tante NDR, die bis dato eher trübe Wellen anrührte. N-joy-Chef Engel und sein Musikchef Gross hatten Erfolg. Wenn Erfolg bedeutet, daß die Quote stimmt und die Kollegen das Format imitieren. Als erster reagierte der WDR und machte im letzten Jahr ein Programm nach gemildertem N-joy-Vorbild: „Einslive“. Andere haben ähnliches vor: Der Bayerische Rundfunk hat neuerdings Pläne für ein Jugendprogramm, aber noch keine Frequenz, und auch der Saarländische Rundfunk plant eine Jugendwelle. So gesehen ist N-joy derzeit das Erfolgsmodell im öffentlich- rechtlichen Rundfunk.

Ein Blick auf die Statistik hatte die Öffentlich-Rechtlichen zum Handeln bewegt. Seit 1986 war da zu lesen, daß die Kids immer weniger Radio hören. Und wenn, dann die Privatsender. Doch muß ein Jugendradio eine stumpfe Musikmaschine sein, um Erfolg zu haben? Einiges spricht dagegen: Einslive (Reichweite 13.4%) etwa erspielt seine Hörerbindung auch mit einer Wortsendung, dem Talkformat „Domian“. Und im ORB-Radio Fritz (das es schon länger gibt als N-joy) ist einer zum Star geworden, der immer mal wieder Maria Callas auflegt – während die WDR-Welle wegen Jacques Brel um Mitternacht den Moderator Alan Bangs feuerte.

Als auf dem Kölner Medienforum in der vergangenen Woche über Jugendradiokonzepte diskutiert wurde, räkelte sich „Fritz“- Chef Helmut Lehnert entsprechend selbstbewußt auf seinem Stuhl. Er ließ keinen Zweifel daran, daß ein Radio möglich ist, das hip ist, aber nicht doof. „Wir haben es anders gemacht“, sagte Lehnert und gab offen zu, daß er die Wortspiele seiner Frühmoderatoren oft zu gedreht findet, als daß sie die Teenie-Zielgruppe begreift. „Aber die ahnen: da ist etwas“, hat Lehnert festgestellt, „und das finden sie toll.“ Und bei der Musik könne man getrost wild mixen: „Die sind unglaublich tolerant, wenn nur der eigene Geschmack ab und zu mal gebauchpinselt wird.“

Doch das wichtigste für den Fritz-Erfolg auf dem brutalen Berliner Markt (9.1 Prozent – N-joy hat in Hamburg 4.7 Prozent) sei etwas anderes: Nach allen Regeln der Werbekunst ist „Fritz“ bei der Zielgruppe als Marke positioniert worden. Lehnert: „Wir haben aus Fritz einen Popstar gemacht.“ Dabei hat der Jugendsender des ORB das Werbekonzept bei den Privaten abgeschaut und aus eigener Radiokneipe, Baseballkappen und Streetballturnieren eine Corporate Identity gebastelt, die jeden Hörer gleichsam zum Groupie der Moderatoren macht. Wegen der Markenidentität ist es wohl auch so, daß jeder Jugendfunk die öffentlich-rechtlichen Eltern lieber verschweigt.

Die jugendliche Radioflucht müsse doch keinen wundern, meint der Hamburger Medienunternehmer Frank Otto (Viva, OK- Radio, KissFM): „Es gibt überhaupt kein Angebot im Radio für unter 12jährige – und dann erwartet man, daß später mehr als 80 Prozent Radio hören?“ Nicht ein werbefreies Werbeumfeldradio wie N-joy, müsse Grundversorgung sein, findet Otto, der selbst selten Skrupel kennt, seinen Sender ausschließlich nach ökonomischen Kriterein auszurichten. Nach dem Auftritt der NDR-Konkurrenz kurzerhand sein Hamburger OK-Radio neu ausgerichtet hatte: nun auf die Zielgruppe der 25- bis 49jährigen.

An die verkaufen Werbetreibende am besten, weswegen nahezu alle der Privatstationen das Mittelalter anpeilen. Otto glaubt, ein privates Radio für jüngere Hörer müsse an der föderalen Medienordnung scheitern: „Die Werbewirtschaft ist verwöhnt, die will national buchen.“ Denen, müsse man schon ein „Network“ bieten. Und genau daran arbeitet still und heimlich die französische Energy- Gruppe. Überall kauft sie angezählte Großstadtstationen, formatiert sie neu und vermarktet sie deutschlandweit. Zielgruppe: 14 bis 29. Das Programm? Klingt wie N-joy. Lutz Meier